Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind
Verlegen schlug sie ein. »Ich schulde Ihnen mehr als einen halben Tag, Brynn. Weitaus mehr.«
»Schon gut.« Sie nahm Michelles Arm, und sie folgten Graham zu seinem Wagen.
79
»Mom. Wo warst du denn die ganze Zeit? Scheiße - was ist mit deinem Gesicht passiert?«
»Bloß ein Unfall. Und achte auf deine Ausdrucksweise.«
»Mein Gott!«, rief Anna.
»Es ist alles in Ordnung.«
»Nein, das ist es nicht. Es ist alles grün und blau. Und gelb. Und dabei kann ich noch nicht mal sehen, was unter dem Verband ist.«
Brynn erinnerte sich, dass sie einen Zahnarzttermin für einen neuen Backenzahn benötigte. Sie berührte die Lücke mit der Zunge. Der Schmerz hatte aufgehört. Ihr Mund fühlte sich einfach komisch an.
»Was war los, Mom?« Joey hatte große Augen.
»Ich bin hingefallen.« Brynn umarmte ihren Sohn. »Gestolpert. Du weißt doch, wie ungeschickt ich bin.«
Ihre Mutter beäugte den Verband und sagte nichts dazu.
Michelle ging ins Wohnzimmer. Die Bandage an ihrem Knöchel - und das Schmerzmittel - hatten geholfen. Sie humpelte nicht mehr.
»Mom, das ist Michelle«, sagte Brynn.
»Hallo, meine Liebe.«
Die junge Frau nickte höflich.
»Joey, du gehst nach oben. Ich rufe deinen Nachhilfelehrer an. Graham und ich werden heute sehr beschäftigt sein. Du bleibst zu Hause.«
»Wirklich, ich kann ihn hinfahren«, sagte Graham.
»Bitte, Schatz, so ist es besser.«
»Ihr beide seht furchtbar aus«, verkündete Anna. »Was ist geschehen?«
Brynn schaute zum Fernseher. Er war ausgeschaltet. Sie war froh, dass gerade keine Lokalnachrichten liefen. Ihre Mutter würde es noch früh genug herausfinden. »Das erzähle ich dir gleich. Joey, hast du schon gefrühstückt?«
»Ja.«
»Dann geh auf dein Zimmer. Arbeite an deinem Geschichtsprojekt.«
»Okay.«
Der Junge machte sich davon und warf Michelle einen letzten Blick zu. Graham ging in die Küche.
»Mom, Michelles Freunde wurden ermordet«, sagte Brynn mit ihrer Deputy-Stimme, ihrer ruhigen Stimme. »Das war der Fall, mit dem ich heute Nacht zu tun hatte.«
»O nein.« Entsetzt trat Anna ein Stück vor und nahm Michelles Hand. »Das tut mir ja so leid, meine Liebe.«
»Danke.«
»Ihr Bruder ist bereits unterwegs. Sie wird eine Weile bei uns bleiben, bis er hier eintrifft.«
»Kommt her und setzt euch.« Anna deutete auf die grüne Wohnzimmercouch, wo Graham und Brynn abends gemeinsam saßen, wenn sie etwas im Fernsehen anschauen wollten. Sie stand im rechten Winkel zu Annas Schaukelstuhl.
»Ich würde lieber erst duschen, falls das geht«, sagte Michelle.
»Aber natürlich. Den Flur entlang ist ein Badezimmer. Da hinten.« Brynn zeigte auf die Tür. »Ich bringe Ihnen frische Kleidung. Es sei denn, Sie möchten nicht.« Sie dachte daran, wie sehr die Frau sich gesträubt hatte, Emma Feldmans Stiefel anzuziehen.
Michelle lächelte. »Doch, sehr gern. Vielen Dank. Was auch immer Sie dahaben.«
»Ich hänge alles an die Tür«, sagte Brynn und freute sich, endlich eine Verwendung für die enge Jeans zu haben, die sie einerseits seit zwei Jahren nicht mehr getragen, es andererseits aber auch nicht geschafft hatte, sich von ihr zu trennen.
»Im Schrank sind Badetücher«, sagte Anna. »Ich habe Kaffee. Möchten Sie lieber Tee? Und natürlich etwas zu essen.«
»Wenn es nicht zu viel Mühe macht.«
Brynn fiel auf, dass die Frau sich schon seit Ewigkeiten nicht mehr über ihren Blutzucker beklagt hatte.
Anna führte Michelle zum Badezimmer und kam zurück.
»Die Einzelheiten erzähle ich dir später, Mom. Die haben versucht, auch Michelle umzubringen. Sie hat die Leichen gesehen.«
»Nein!« Anna hielt sich die Hand vor den Mund. »Nein … Was wird nun aus dem armen Ding? Soll ich Reverend Jack anrufen? Er könnte in zehn Minuten hier sein.«
»Lass uns Michelle erst fragen. Es ist vielleicht eine gute Idee. Aber ich weiß nicht. Sie hat so viel auszustehen gehabt. Und einer unserer Deputys wurde getötet.«
»Nein! Wer?«
»Eric.«
»Dieser niedliche Junge? Mit der brünetten Frau?«
Brynn seufzte. Sie nickte und dachte: mit der brünetten Frau und dem kleinen Baby.
»Wurdest du angeschossen?«, fragte Anna plötzlich.
»Nicht direkt. Eher wie bei einem Querschläger.«
»Aber es war ein Schuss?«
Sie nickte.
»Was, um Himmels willen, ist denn passiert?«
Brynns ruhige Fassade bekam Risse wie die gefrorene Oberfläche eines Sees. »Einige wirklich schlimme Dinge, Mom.«
Anna drückte sie an sich. Brynn spürte, dass ihre
Weitere Kostenlose Bücher