Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind
Brynn und richtete sich steifbeinig auf. Ihr Gesicht tat weh. »Ich sehe oben nach. Machen Sie hier unten weiter.«
Michelle nickte zögernd. Es gefiel ihr nicht, allein gelassen zu werden.
Spinnen …
Brynn stieg die Treppe hinauf. Die Durchsuchung des ersten Stocks erbrachte weder Waffen noch Telefone oder Computer. Den Dachboden ersparte sie sich. Ein Blick aus dem Fenster ließ beim Haus der Feldmans weiterhin Taschenlampen erkennen, aber die Männer würden gewiss nicht mehr lange dort bleiben.
Sie hätte am liebsten das Licht eingeschaltet, wagte es jedoch nicht und tastete sich weiter durch die Schlafzimmer, beginnend mit dem geräumigsten. Sie fing an, Schubladen und Schranktüren aufzureißen, und stieß schließlich auf einige Kleidungsstücke. Brynn streifte ihre Jacke und die ledrige klamme Uniform ab und zog die dunkelsten Sachen an, die sie finden konnte: zwei marineblaue Trainingshosen, zwei Männer-T-Shirts und ein dickes Sweatshirt. Dann folgten trockene Socken - an ihren Fersen bildeten sich wegen der durchnässten Schuhe bereits Blasen -, aber sie blieb auf die Oxfords des Sheriff’s Department angewiesen, denn es gab hier keine anderen Schuhe. Sie fand außerdem einen dicken schwarzen Skiparka und zog ihn an, und endlich wurde ihr wärmer. Das Gefühl war so tröstlich, dass sie beinahe in Tränen ausgebrochen wäre.
Im Badezimmer öffnete sie den Arzneischrank und tastete die Flaschen ab, bis sie eine rechteckige fand. Sie roch an dem
Inhalt, um sich zu vergewissern, dass es medizinischer Alkohol war, tränkte ein Knäuel Toilettenpapier damit und säuberte ihre verletzte Wange. Der Schmerz raubte ihr den Atem und ließ ihre Knie weich werden. Dann desinfizierte sie auch ihre Mundhöhle, was noch zehnmal schlimmer wehtat. Sie senkte den Kopf, um nicht ohnmächtig zu werden. Atmete tief durch. »Okay«, flüsterte sie, als der Schmerz sich legte. Dann steckte sie den Alkohol ein und eilte nach unten.
»Haben Sie irgendwelche Telefone oder Waffen gefunden?«, fragte Michelle.
»Nein.«
»Ich habe weitergesucht … aber es ist hier so unheimlich. In den Keller habe ich mich nicht getraut. Ich hatte Angst.«
Brynn verschaffte sich dort selbst einen schnellen Überblick. Sie riskierte es, das Licht einzuschalten, denn sie hatte von draußen keine Kellerfenster bemerkt, durch die der Lichtschein sie hätte verraten können. Leider fanden sich auch hier keine brauchbaren Kommunikationsmittel oder Waffen. Das Untergeschoss bestand aus einer endlos scheinenden Folge von kleinen Räumen und Gängen. Einige schmale Durchgänge führten zu ziemlich guten Verstecken.
Als Brynn in die Küche zurückkehrte, flüsterte Michelle: »Schauen Sie mal.« Sie deutete auf einen Block mit Küchenmessern, Marke Chicago Cutlery. Brynn nahm ein etwa zwanzig Zentimeter langes Exemplar und prüfte die maschinell geschärfte Klinge mit dem Daumen.
Sie sah zum Haus der Feldmans, wo nach wie vor die Taschenlampen leuchteten. Dann kam ihr ein Gedanke. Sie wandte sich um. »War hier nicht irgendwo ein Billardtisch?«
Michelle zeigte auf das Esszimmer. »Ich glaube, man muss dort hindurch.«
Sie gingen los. »Ich bin auf der Sechs-Zweiundachtzig aus Richtung Osten hergekommen«, sagte Brynn. »Hinter Clausen habe ich bloß noch ein paar Wohnwagen und einige ferne Hütten
gesehen. Dann meilenweit gar nichts mehr. Wenn man von hier aus nach Westen fährt, kommt dann irgendwo ein Laden oder eine Tankstelle? Irgendwas mit einem Telefon?«
»Keine Ahnung. Ich bin noch nie dort entlanggefahren.«
Die Frauen betraten das Freizeitzimmer, einen großen Raum mit einer Bar, einem Billardtisch und Tausenden von Büchern in Einbauregalen. Unter dem Großbildfernseher zeigte der Kabeldecoder die Uhrzeit an: 20:42.
Brynn war es inzwischen wieder warm. Seltsam, dachte sie. Ich kann mich schon gar nicht mehr richtig an die Kälte erinnern. Sie wusste zwar noch, wie furchtbar sie sich gefühlt hatte, konnte das Gefühl aber nicht mehr nachvollziehen, obwohl es so intensiv gewesen war.
Ihr Blick wanderte durch den Raum, über die Sport-Andenken, die Alkoholflaschen, die Familienfotos, den Ständer mit den Queues, die dreieckig angeordneten Billardkugeln auf dem Tisch. Dann öffnete sie die Schubladen unterhalb der Bücherregale.
Keine Waffen, keine Telefone.
»Mal sehen, ob wir eine Landkarte auftreiben können.«
Sie fingen an, die Regale und Papierstapel zu durchsuchen. Brynn stand vor einer der Bücherreihen, als Michelle
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