Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind
später. Der Bereich des Gebäudes, in dem Dahl und die anderen arbeiteten, bestand im Wesentlichen aus einem Großraumbüro mit zahlreichen Trennwänden und Schreibtischen. Das war der neue Teil. Die acht derzeit diensthabenden Deputys - sechs Männer und zwei Frauen - trugen Uniformen, die von frisch gestärkt bis total zerknittert reichten, je nach dem jeweiligen Schichtbeginn.
»Wir prüfen das nach«, sagte Jackson. Auch er hatte glatte Haut, was allerdings nicht verwunderte, denn er war halb so alt wie der Sheriff.
»›Dies‹«, grübelte Dahl, wechselte dann aber das Thema: »Haben Sie schon vom Labor gehört?«
»Ach, wegen der Wilkins-Sache?« Jackson zupfte an seinem steifen Hemdkragen. »Das war kein Meth. Es war gar nichts.«
Sogar hier in Kennesha, einem County mit nur 34021 Einwohnern, war Meth eine schreckliche Plage geworden. Die Süchtigen, auch Blinzler genannt, waren rücksichtslos, halb wahnsinnig und zum Äußersten entschlossen, um sich ihren Nachschub zu sichern; für die Kocher und ihre gewaltigen Gewinne galt genau das Gleiche. Rund um Meth wurden mehr Morde verübt als bei Kokain, Heroin, Marihuana und Alkohol zusammen. Und noch einmal die gleiche Zahl von Todesopfern gab es durch Verbrühungen, Brände und Überdosen zu beklagen. Erst kürzlich war eine vierköpfige Familie in ihrem Wohnwagen verbrannt, nachdem die Mutter beim Kochen von Meth das Bewusstsein verloren hatte. Dahl vermutete, dass die Frau frisch vom Herd eine Probe genommen und sich dabei mit der Dosis vertan hatte.
Die Züge des Sheriffs verhärteten sich. »Verdammt! Er ist ein Kocher, zum Teufel noch mal! Wir wissen es alle, und er
spielt mit uns. Schon allein dafür würde ich ihn gern verhaften. - Woher kam eigentlich dieser Notruf? Von einem Festnetzanschluss?«
»Nein, von einem Mobiltelefon. Deshalb die Verzögerung.«
Das in Kennesha County seit Jahren erprobte Notrufsystem zeigte der Zentrale automatisch den Aufenthaltsort des Anrufers an. Es funktionierte im Prinzip auch bei Mobiltelefonen, wenngleich deren Lokalisierung etwas komplizierter war und in diesem hügeligen Teil von Wisconsin nicht immer gelang.
Dies …
»Todd, die Funkzentrale für dich«, rief eine Frau quer durch das unordentliche Büro.
Der Deputy ging zu seinem Tisch. Dahl wandte sich wieder dem Stapel Festnahmeberichte zu, die er nicht nur auf Einhaltung der Vorschriften, sondern auch auf Rechtschreibfehler überprüfte.
Jackson kam zurück, setzte sich aber auf keinen der beiden Stühle, sondern blieb - wie meistens - lieber stehen. »Okay, Sheriff. Der Notruf kam aus der Nähe des Lake Mondac.«
Gruselig, dachte Dahl. Die Gegend hatte ihm noch nie gefallen. Der See lag mitten im Marquette State Park, und der war genauso gruselig. Dahl hatte dort bislang zwei Vergewaltigungen und zwei Morde untersucht, und beim letzten Mal war nur ein kleiner Teil vom Leichnam des Opfers gefunden worden. Der Sheriff zog die Landkarte an seiner Bürowand zurate. Der nächstgelegene Ort war Clausen in zehn oder elf Kilometern Entfernung vom See. Dahl wusste kaum etwas über das Kaff, nahm aber an, dass es wie tausend andere in Wisconsin war: eine Tankstelle, ein Lebensmittelladen, der so viel Bier wie Milch verkaufte, und ein Restaurant, das schwerer zu finden war als der örtliche Meth-Kocher. »Stehen dort Häuser?«
»Am See? Ich glaube, ja.«
Dahl musterte den blauen Fleck des Lake Mondac auf der Karte. Der See wurde von einigen kleinen Privatgrundstücken
gesäumt, die wiederum vom riesigen Marquette Park umgeben waren.
Dies …
»Und die Campingplätze sind noch bis Mai geschlossen«, fügte Jackson hinzu.
»Wem gehört das Telefon?«
»Auf die Information warten wir noch.« Der junge Deputy trug eine blonde Igelfrisur. Das war gerade groß in Mode. Dahl hatte neun Zehntel seines Lebens mit militärisch kurzem Haarschnitt verbracht.
Der Sheriff interessierte sich nicht mehr für die Routineberichte und für die Geburtstagsparty zu Ehren eines der dienstältesten Deputys, die in einer Stunde im Eagleton Tap beginnen sollte und auf die er sich eigentlich gefreut hatte. Er dachte an das vergangene Jahr, als ein Kerl - ein registrierter Sexualstraftäter und ein dummer dazu - den kleinen Johnny Ralston vor der Grundschule in sein Auto gelockt hatte. Der Junge war so geistesgegenwärtig gewesen, die Wahlwiederholung seines Mobiltelefons zu drücken und das Gerät in der Jackentasche zu verstecken, während sie in der Gegend herumfuhren und
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