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Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind

Titel: Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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ziemlich albern.«
    »Folge einfach deinem Instinkt. Wenn es sich richtig anfühlt, dann ist es das vermutlich auch. So habe ich das bei meinen Kindern immer gehalten. Das meiste ist mir gelungen. Manches eher nicht. Wie man sieht.«

    Der letzte Satz war von einem Seufzen begleitet.
    »Meinst du?«
    »Meine ich. Jemand muss die Leitung übernehmen. Joey kommt dafür nicht in Frage. Und Brynn …« Sie verstummte.
    »Hast du einen Rat für mich?«
    Anna lachte. »Er ist das Kind. Du bist der Erwachsene.«
    Das mochte eine scharfsinnige Erkenntnis sein, aber sie half Graham nicht sonderlich weiter.
    Anna merkte offenbar, dass er verwirrt war. »Entscheide von Fall zu Fall.«
    Graham atmete tief durch und ging nach oben. Die Stufen knarrten unter dem Gewicht seiner massigen Statur. Er klopfte an die Zimmertür des Jungen und trat ein, ohne auf eine Antwort zu warten - das hatte er bisher noch nie gemacht.
    Joeys rundes, sommersprossiges Gesicht blickte kurz vom Schreibtisch auf, auf dem ein großer Flachbildmonitor stand. Der Junge trug wieder seine Strickmütze, wie ein Rapper. Oder Gangsta. Anscheinend unterhielt er sich gerade per Instant Messenger mit einem Freund. Auch seine Webcam war eingeschaltet. Es gefiel Graham nicht, dass der Freund ihn und das Zimmer sehen konnte.
    »Was machen die Hausaufgaben?«
    »Die sind fertig.« Er tippte weiter, ohne die Tastatur anzusehen. Oder Graham.
    An der Wand hing eine Reihe von Szenenfotos aus dem Gus-Van-Sant-Film Paranoid Park , in dem es um Skateboarder in Portland ging. Joey musste sie sich ausgedruckt haben. Es war ein guter Film - für Erwachsene. Graham hatte dagegen protestiert, dass der Junge ins Kino mitkommen durfte. Doch Joey war von dem Streifen regelrecht besessen gewesen und hatte so lange geschmollt, bis Brynn letztlich einwilligte. Dann jedoch waren sie nach einer besonders schrecklichen Szene aus dem Saal geflohen. Graham hatte einen Streit vermieden und
sich das »Ich-hab’s-dir-ja-gesagt« verkniffen, aber er hätte seine Frau trotzdem am liebsten ermahnt, beim nächsten Mal gefälligst auf ihn zu hören.
    »Wer ist das?«, fragte Graham mit Blick auf den Bildschirm.
    »Wer?«
    »Dein Chatpartner.«
    »Ein Kumpel.«
    »Joey.«
    »Tony.« Der Junge starrte weiterhin den Monitor an. Grahams Sekretärin schaffte 120 Wörter pro Minute. Joey schien sogar noch schneller zu tippen.
    »Welcher Tony?«, fragte Graham, der fürchtete, es könne sich um einen Erwachsenen handeln.
    »Du weißt schon, aus meiner Klasse. Tony Metzer.« Sein Tonfall schien zu besagen, dass Graham den Jungen kennen müsse. Der war sich sicher, den Namen noch nie gehört zu haben. »Es geht um Turbo Planet. Er kommt nicht über Level sechs hinaus. Ich schaffe es bis acht. Ich helfe ihm.«
    »Nun, es ist schon spät. Genug für heute.«
    Joey tippte weiter, und Graham fragte sich, ob der Junge trotzig war oder sich nur von seinem Freund verabschiedete. Würde es eine Auseinandersetzung geben? Der Mann bekam feuchte Hände. Er hatte Angestellte wegen Diebstahls entlassen, er hatte im Büro einen Einbrecher ertappt und in die Flucht geschlagen, und er hatte Messerstechereien zwischen seinen Arbeitern verhindert. Keines dieser Ereignisse hatte ihn so nervös gemacht wie die gegenwärtige Situation.
    Nach einigen flinken Tastenanschlägen schloss sich das Chatfenster, und der Desktop des Computers wurde sichtbar. Der Junge sah Graham freundlich an. Was nun?, lautete seine unausgesprochene Frage.
    »Wie geht es dem Arm?«
    »Gut.«
    Der Junge nahm sein Gamepad und drückte dermaßen
schnell auf den Knöpfen herum, dass seine Finger kaum noch zu erahnen waren. Joey besaß Dutzende von elektronischen Spielzeugen - mehrere MP3 -Player, einen iPod, ein Mobiltelefon, einen Computer. Er schien zahlreiche Freunde zu haben, aber er kommunizierte hauptsächlich per Tastatur und nicht verbal von Angesicht zu Angesicht.
    »Möchtest du eine Schmerztablette?«
    »Nein, es geht schon.«
    Der Junge konzentrierte sich auf das Spiel, aber sein Stiefvater merkte, dass er misstrauisch geworden war.
    Grahams erster Gedanke war, den Jungen zu einem Geständnis hinsichtlich des Asphaltsurfens zu verleiten, aber das widerstrebte seinem Instinkt, auf den er sich laut Anna verlassen sollte. Er dachte an seine Überlegungen während des Abwaschs zurück: Dialog, nicht Konfrontation.
    Der Junge sagte nichts. Die einzigen Geräusche waren das Klicken der Knöpfe und der elektronische Bassbeat des Spiels, während eine

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