Nachtschwarze Küsse - Scent of Darkness (Darkness Chosen 01)
Russland geflohen waren, änderten sie ihren Namen in Wilder. Sie planten einen Neuanfang in der Neuen Welt.« Er klang
enttäuscht. Wütend. »Den hatten sie zwar, doch die dunklen Mächte aus der Alten Welt sind uns hierher gefolgt.«
»Dabei bist du weder arrogant noch verzogen, oder?« Sie suchte verzweifelt einen Hoffnungsschimmer am Horizont.
Er schmunzelte und umarmte sie. »Auf gar keinen Fall. Haben sich deine Augen an die Dunkelheit gewöhnt?«
Eigentlich schon. Jedenfalls sah sie gut genug, um nicht der Länge nach hinzufallen. »Nicht wirklich.« Sie fand es himmlisch, Arm in Arm mit ihm zu gehen. »Und wie kommen die darauf?«
»Keine Ahnung. Die Kinder von Immigranten sind keine verzogenen Brötchen, weißt du. Unsere Eltern haben feste Vorstellungen für unsere Zukunft, und wehe, wenn wir nicht parieren. Ein paar Geschichten aus ihrer ehemaligen Heimat reichen aus, um uns schleunigst wieder auf Kurs zu bringen.«
»Du bist erfolgreich, weil deine Eltern es von dir verlangen?«
»Nein, weil sie nicht mehr, aber auch nicht weniger von mir erwarten dürfen. Was ist mit dir, Ann? Wieso bist du erfolgreich?«, meinte er betont beiläufig.
Irrtum, ihr konnte er nichts vormachen. Er wollte wissen, wer sie war, woher sie kam, wer ihre Eltern waren.
Und sie hatte nicht die Absicht, ihm das auf die Nase zu binden. »Findest du, dass ich erfolgreich bin? Finde ich nicht. Ich bin bloß eine Assistentin.«
»Du bist nicht bloß irgendwer . Mit dem richtigen Team könntest du aus Wilder Wines ein Unternehmen machen, das auf der ganzen Welt bekannt ist. Dazu hast du echt das Zeug. Warum warst du eigentlich nicht an der Uni? Du hättest Betriebswirtschaft studieren sollen oder so. Stattdessen arbeitest du für mich. Wieso, Ann?«
Mit einem Mal störte es sie, dass sie Arm in Arm liefen. Es war dunkel; wahrscheinlich konnte er ihr Gesicht nicht erkennen.
Und wenn er ihre Bedrücktheit fühlte? Gemerkt hatte, dass sie unwillkürlich zusammengezuckt war? »Ich suche einen reichen Ehemann, und du schienst mir ein vielversprechender Kandidat. Inzwischen sehe ich das ein bisschen anders, zumal ich auf Tierhaare allergisch reagiere und Nachtwanderungen nicht ausstehen kann.« Das klang zwar ein wenig hart, aber das war reiner Selbstschutz.
Früher hatte sie mit ihrer Vergangenheit nicht hinterm Berg gehalten. Die Reaktion der Menschen war jedoch jedes Mal extrem gewesen - tiefes Mitgefühl und brennende Neugier. Für gewöhnlich fragten sie Ann Löcher in den Bauch und dann wandten sie sich von ihr ab, als wäre ihr Unglück eine ansteckende Krankheit. Als hätte sie irgendetwas angestellt und ihr Schicksal verdient.
Vielleicht war da was Wahres dran. Womöglich war sie mit diesem Geburtsmal geschlagen, quasi als Warnung für andere, sich von ihr fernzuhalten.
Vielleicht kümmerte es Jasha nicht. Vielleicht aber doch? Sie hielt es jedenfalls für sinnvoller und sicherer, ihr Geheimnis für sich zu behalten. »Ich seh jetzt ausgezeichnet«, murmelte sie und redete sich ein, dass sie erleichtert war, als er sie losließ und schweigend neben ihr herstapfte.
Die hohen Stämme der Douglasfichten schluckten den letzten Rest Tageslicht, würziger Zedernduft erfüllte die Luft. Wenn sie den Blick hob, konnte sie die Kiefernspitzen sehen, die den glitzernden Sternen zuwinkten. Früher hatte sie oft gerätselt, warum so viele Menschen an einen guten Stern glaubten, der ihr Schicksal bestimmte. Wenn sie als Kind die Sterne betrachtet und sich etwas gewünscht hatte, waren ihre Wünsche so gut wie nie in Erfüllung gegangen. Die Sterne waren weit weg, und die Menschen waren ihnen gleichgültig, und wer etwas anderes glaubte, war ein Spinner.
Sie wünschte, sie wäre auch so ein Spinner.
»So weit ich zurückdenken kann, hab ich Erinnerungen an Waldspaziergänge«, fuhr Jasha beiläufig fort, als merkte er ihre Reserviertheit gar nicht. »Noch bevor ich laufen konnte, trug mein Dad mich auf dem Arm über unser Grundstück, um mir zu zeigen, wo böse Menschen sich verstecken könnten. Ein Jahr später lief ich schon an seiner Hand, und er trug meinen Bruder Rurik. Das Jahr darauf trug er Adrik. Und schließlich, zehn Jahre später, drehten wir unsere Runden mit Firebird auf seinem Arm.«
Ann registrierte die tiefe Zuneigung, mit der er von seinem Vater sprach. »Dein Dad ist bestimmt ein Supertyp.«
»O ja. Er ist aus der Alten Welt. Und er achtet auf strenge Disziplin und vertritt hohe moralische Werte, gleichzeitig
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