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Nachtstürme - Peeler, N: Nachtstürme - Tempest Rising

Titel: Nachtstürme - Peeler, N: Nachtstürme - Tempest Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Peeler
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Nacht, in der wieder ein Sturm wütete, der fast genauso heftig war wie in der Nacht, als meine Eltern das erste Mal das Bett teilten. Am nächsten Morgen war meine Mutter verschwunden, genauso plötzlich und auf genauso unerklärliche Weise, wie sie aufgetaucht war.
    Bald lernte ich die Wahrheit über meine Familie kennen: Das gemütliche Nest, in dem ich glücklich und zufrieden aufgewachsen war, war bloß schöner Schein gewesen. Die Leute aus Rockabill, abgesehen von Nick, Nan und Jason, hatten meine Mutter nie akzeptiert. Viele aus dem Dorf hielten sie für geradezu gefährlich anders und fühlten sich natürlich in ihrem unerbittlichen Urteil bestätigt, als sie ihren Mann und ihre kleine Tochter einfach so zurückließ. Dass ein kleines Mädchen, dessen Mutter sie verlassen hatte, Mitgefühl verdiente, wurde von der Tatsache verdrängt, dass ich fast genauso aussah wie sie: dieselben dunklen Haare und Augen, dieselbe blasse Haut und, als
ich älter wurde, dieselben gefährlichen Kurven. Rockabill war keine besonders religiöse Gemeinde, aber unsere puritanischen Vorfahren hatten über die Generationen dennoch ihre Spuren in den Köpfen der Bewohner hinterlassen. »Genau wie ihre Mutter«, tuschelten sie. »Dieses Mädchen sieht aus wie die Sünde selbst.« Das Gerede traf mich und schwoll zu regelrechtem Geschrei an, als sich noch mehr unglückliche Vorfälle ereigneten.
    Wütend schwamm ich weiter und rang mit den starken Strömungen und Kabbelungen des großen Strudels im Atlantischen Ozean vor Maine, der den lustigen Namen Old Sow, die alte Sau, trägt und viele kleinere Nebenstrudel mit einschließt, die konsequenterweise »Ferkel« genannt werden. Ich wollte mich in den Wasserwirbeln verlieren, und das unruhige Meer an dieser Stelle erfüllte mir diesen Gefallen nur zu gern.
    Der Old-Sow-Strudel hatte den Fischern von Rockabill früher oft das Verderben gebracht. Zu viele von ihnen waren in seinen Fluten gestorben. Doch jetzt waren diese tödlichen Wasserwirbel praktisch unsere Lebensgrundlage: die Touristenattraktion, mit der wir unseren Lebensunterhalt verdienten. Die Old Sow ist einer der vier größten Strudel der Erde, und Boote taten gut daran, nicht hineinzugeraten. Aber ich tollte in seiner Nähe herum wie eine nackte, kleine Robbe.
    Ich hatte keine Ahnung, warum ich trotz meiner geringen Körpergröße so gut schwimmen konnte und warum ich es so sehr liebte. Ich wusste nur, dass ich nirgends glücklicher war als im Wasser. Aber wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst war, dann steckte noch mehr dahinter. Ich musste einfach
schwimmen. Es war nicht nur ein Verlangen, das mich ins Wasser trieb, sondern eine wahre Sucht. Nicht, dass ich die Bedeutung dieses Bedürfnisses verstand. Ich wusste, meine Liebe fürs Schwimmen war der Schlüssel zu irgendetwas, aber es war einer dieser lästigen, geheimnisvollen Exemplare, die wohl an jedem geerbten Schlüsselbund hingen. Dieser eine Schlüssel, der einfach zu keiner Tür im Haus passen wollte und auch zu keinem Schrank im Arbeitszimmer und keinem Koffer auf dem Speicher. Schwimmen war mein rätselhafter Schlüssel, dessen bloße Präsenz ständig an mir nagte. Aber ganz gleich, an wie vielen Schlössern ich ihn auch ausprobierte, er behielt sein Geheimnis hartnäckig für sich.
    Ich versuchte all meine negativen Gedanken zur Seite zu schieben, während der Donner über den Himmel rollte, es in Strömen regnete und sich der Atlantik als Antwort auf das Unwetter störrisch aufbäumte. Der Sturm war bereits aufgezogen, als ich vom Supermarkt nach Hause gefahren war, und war dann losgebrochen, während mein Vater und ich noch beim Abendbrot saßen. Während des Essens hatte ich mich zwingen müssen, nicht meine Gabel auf den Teller zu knallen und in die Nacht hinauszulaufen wie eine Furie. Ich war noch immer so wütend wegen meines Zusammenstoßes mit Linda, dass ich ziemlich ungeduldig mit meinem Vater umsprang. Deshalb fühlte ich mich jetzt schuldig und bitter, und es machte mich außerdem noch wütender …
    Wenn es mir so ging, half nur noch schwimmen.
    Schwimmen hatte immer eine fast therapeutische Wirkung auf mich, aber während eines Sturms war es besser als Prozac. Vielleicht lag es daran, dass meine Mutter während
eines Unwetters aufgetaucht und wieder verschwunden war, dass ich so verrückt danach war. Aber ich war nie glücklicher als in den Momenten, wenn das Meer wild und wogend und wütend war und ich so machtlos von ihm umfangen wurde wie eine von

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