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Nachtwandler (German Edition)

Nachtwandler (German Edition)

Titel: Nachtwandler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jule Becker
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geht’s gut“, wiederhole ich immer noch flüsternd.
    „Leo“, seufzt er, „das ist doch albern. Schließ endlich diese verdammte Tür auf, damit ich mich davon überzeugen kann, dass Du auch wirklich in Ordnung bist!“
    „Bitte“, hauche ich. Meine Augen beginnen zu brennen. „Bitte geh. Ich kann und will dich jetzt nicht sehen.“ Ich könnte mich für meine eigenen Worte ohrfeigen, denn eigentlich möchte ich nichts lieber, als seine Arme, schützend um meinen Körper geschlungen, aber das geht nicht. Niemals.
    Ich höre ihn auf der anderen Seite der Tür laut aufseufzen. „Na gut, wenn du es wirklich willst, dann gehe ich.“ Selbst durch das Holz hindurch fühle ich seine Enttäuschung. Mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt lasse ich mich langsam daran heruntergleiten. Es dauert eine Weile, bis ich ihn erneut höre: „Willst du wirklich, dass ich gehe?“ Ich antworte ihm nicht. Ich habe die Stirn auf meine Knie gelegt und umklammere fest meine Unterschenkel. „Dann … dann mach’s gut“, höre ich ihn irgendwann. Seine Stimme klingt niedergeschlagen und ich kämpfe gehörig gegen den Kloß an, der sich in meiner Kehle bildet. Als ich schließlich die Wohnungstür ins Schloss fallen höre, kann ich nicht verhindern, dass mir ein paar Tränen über das Gesicht laufen. Energisch wische ich sie weg. Ich werde jetzt nicht anfangen zu heulen wie ein Mädchen. Unter gar keinen Umständen.
    Am darauffolgenden Abend bleibe ich in meiner Wohnung. Das ist seit gut fünf Jahren nicht mehr passiert, wenn man einmal von diesem einen Mal absieht, bei dem ich mir den Magen verdorben und zwei Tage lang fast die Seele aus dem Leib gekotzt habe. Nennt mich einen Feigling, aber nach diesem Fast-Supergau am Morgen kann ich Felix einfach nicht unter die Augen treten. Was soll ich ihm denn erzählen? Mir fällt nichts ein, das auch nur halbwegs plausibel erklären könnte, was geschehen ist. Von Zeit zu Zeit schlägt die Klingel an, aber ich öffne nicht, sehe noch nicht einmal nach, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass Felix auf der anderen Seite der Tür steht.
    Auch die nächsten Tage bleibe ich im Penthouse. Was soll ich auch unten? Felix ist ohnehin nicht da und jemand anderen möchte ich nicht sehen. Ich möchte auch Felix nicht sehen – dennoch vermisse ich ihn. Ich weiß nicht, was ich eigentlich möchte, außer vielleicht einfach nur endlich einmal ein ganz normales Leben führen zu können. Ich habe all das mittlerweile so satt. Daniel hatte vollkommen recht, denn inzwischen ist mir klar, dass es so nicht weitergehen kann. Ich vergrabe mich in Selbstmitleid und schotte die Außenwelt komplett ab. Noch nicht einmal Daniel lasse ich in die Wohnung.
    Erst am Samstag verlasse ich meine eigenen vier Wände wieder. Ich esse einen Happen bei Pino und betrete dann den Club. Mein erster Gedanke gilt Felix und ich scanne die Umgebung nach ihm ab. Er ist da, natürlich ist er das, und was mache ich? Ich ignoriere ihn. Ich gehe ihm sogar aus dem Weg, wenn ich bemerke, dass er auf mich zusteuert. Eigentlich hatte ich mich bisher für alles gehalten, nur nicht für feige. Wie man sich doch täuschen kann, auch wenn es um einen selbst geht. Dabei kann er doch gar nichts dafür. Irgendwann lande ich bei Rolf an die Bar. Ich flirte mit ihm, was das Zeug hält, und weiß ganz genau, dass Felix es sieht, lege es sogar darauf an.
    Mehr als einmal fange ich Felix verletzten Gesichtsausdruck auf, und doch bleibe ich bei Rolf, schmiere ihm Honig ums Maul, sehe seinen hoffnungsvollen Blick und möchte am liebsten kotzen. Alles, wirklich alles zieht mich zu Felix, aber ich kann nicht. Der Schreck sitzt mir immer noch tief in den Knochen. Ich war so furchtbar leichtsinnig und hätte beinahe mein größtes Geheimnis auffliegen lassen – und warum? Weil ich mich in Felix Gegenwart vergesse, mich in ihm verliere, weil er mir einfach in dieser kurzen Zeit schon so wichtig geworden ist. Das, was an jenem Morgen geschehen ist, darf sich einfach nicht noch einmal wiederholen.
    Irgendwann kann ich Felix anklagenden Blick einfach nicht mehr ertragen, gleichzeitig traue ich mir selbst nicht mehr über den Weg, also verlasse ich das Dorian kurz nach Mitternacht und gehe in meine Wohnung. Auch Rolfs verständnisloser Blick folgt mir und, ich denke, er hatte sich für den heutigen Abend ein gemeinsames, horizontales Programm erhofft. Er weiß noch nicht, dass es dazu nie wieder kommen wird.
    Am Dienstagnachmittag geht es mir immer noch nicht

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