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Nachtwandler (German Edition)

Nachtwandler (German Edition)

Titel: Nachtwandler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jule Becker
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nennenswert besser. Ich komme gerade aus der Küche, als jemand an meine Tür klopft. In Erwartung, dass es Daniel ist, öffne ich sie, ohne vorher durch den Spion geschaut zu haben. Doch es ist nicht Daniel, der da vor mir steht und mich irritiert ansieht. Es ist Felix. Er erkennt mich nicht, wie denn auch … mit dem Leo, den er zu kennen glaubt, verbindet mich nur eine vage Ähnlichkeit … nur die Augen, die verändern sich niemals. Ich sehe ihm deutlich an, dass er mich einzuordnen versucht.
    „Ähm … hallo. Ich hatte eigentlich gehofft, Leo anzutreffen. Ich bin Felix“, er streckt mir die Hand entgegen und ich ergreife sie automatisch.
    „Er …“ Ich räuspere mich ganz kurz. „Leo ist nicht hier.“
    „Könntest du ihm denn bitte etwas ausrichten?“, fragt er freundlich.
    „Natürlich“, antworte ich knapp.
    „Bist du mit ihm verwandt?“, will Felix wissen.
    Himmel, was sag ich denn jetzt? Irgendwie muss ich ja auch meine Anwesenheit erklären. „Ja“, antworte ich deshalb, „er ist mein Bruder.“ Ich muss mich beherrschen, um nicht in hysterisches Gelächter auszubrechen.
    „Oh, er hat mir gar nicht erzählt, dass er noch Geschwister hat“, erwidert er. „Eigentlich weiß ich ohnehin nicht sehr viel über ihn.“ Er seufzt. „Hast du was zum Schreiben?“ Ich nicke, verschwinde kurz in der Küche und komme mit einem Block und Kugelschreiber wieder. „Ich schreibe meine Handynummer auf. Ich würde mich sehr freuen, wenn er sich bei mir melden würde.“ Hoffnungsvoll gibt er mir Stift und Papier zurück.
    Ich werfe einen kurzen Blick darauf und nicke. „Ich richte es ihm aus“, erwidere ich.
    „Okay, danke. Dann mal Tschüss.“ Er wendet sich von mir ab und ich will schon die Tür schließen, als er sich noch einmal umdreht. „Auch wenn er es vielleicht gar nicht hören möchte, aber sag ihm bitte, dass ich ihn vermisse.“
    ‚Ich vermisse dich auch, sehr sogar‘, schreit es in mir. Ich bringe jedoch noch nicht einmal ein schnödes: ‚Ciao‘ über die Lippen . Auch Minuten später stehe ich noch wie zur Salzsäule erstarrt in der Wohnungstür und starre ins Treppenhaus. Den Block halte ich fest an meine Brust gepresst.
    Die nächsten beiden Tage verbringe ich damit, mir zu überlegen, ob ich mich bei Felix melden soll oder nicht. Am Donnerstag, kurz nach der Verwandlung, habe ich mich immer noch nicht entschieden. Ich bin gerade dabei mich anzuziehen, als es wieder einmal klingelt. Bei mir geht es neuerdings zu wie im Taubenschlag. Dieses Mal ist es Daniel. Ich öffne ihm die Tür.
    „Wenn du mich heute wieder hättest draußen stehen lassen, hätte ich deine Eltern angerufen“, sagt er ohne mich zu begrüßen.
    Das fängt ja gut an. „Wenn du mich nur anmeckern willst, kannst du gleich wieder gehen. Ich habe zurzeit keinen Nerv für so 'nen Scheiß“, gebe ich ungehalten zurück.
    „Meine Güte Leo, kannst du dir vielleicht vorstellen, dass man sich Sorgen um dich macht?“ Er sieht mich an, schnaubt und schüttelt den Kopf.
    „Um mich braucht sich niemand Sorgen zu machen, mir geht’s gut“, sage ich trotzig.
    „Ja sicher, deswegen lässt du dich unten auch kaum noch blicken. Die anderen denken schon, du seist krank. Besonders Rolf macht sich große Sorgen um dich.“
    „Es ist mir scheißegal, was die anderen denken, und Rolf soll sich um seinen eigenen Scheiß kümmern. Ich habe im Moment einfach keinen Bock auf den Club, klar?“
    „Sei nicht unfair. Dass Rolf in dich verknallt ist, kannst du ihm kaum zum Vorwurf machen. Du hättest es einfach bei einer einmaligen Sache belassen können. Aber nein, du musstest seine Hoffnungen ja noch zusätzlich schüren!“
    Er hat recht, er weiß es und ich weiß es auch. Ich verschränke die Arme vor der Brust und gebe ein kurzes Schnauben von mir.
    „Ich bin gestern mit Felix ins Gespräch gekommen“, beginnt er völlig überraschend.
    Ich hebe den Kopf. „Felix ist unter der Woche nicht da“, erkläre ich.
    „Hin und wieder macht er eine Ausnahme. Würdest du dich nicht schon seit Tagen hier oben verbarrikadieren, wüsstest du das.“
    Ich seufze. Ich weiß nicht, ob ich hören möchte, wie Felix mit anderen Männern flirtet oder sich mit ihnen im Darkroom vergnügt. „Er kann tun und lassen, was er will.“
    „Red keinen Stuss. Du weißt genauso gut wie ich, dass er nur deinetwegen seit Wochen ins Dorian kommt. Er fragt sich, was er falsch gemacht hat.“
    „Er hat nichts falsch gemacht“, sage ich leise.

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