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Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Titel: Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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damals, nicht bei uns .«
    O’Kelly trank jetzt immer schneller, und der Mund gehorchte ihm nicht mehr. Mühsam stand er auf und ging auf unsicheren Beinen aus dem Zimmer. Nach einer Weile kam er mit einem Blatt Papier wieder.
    »Hier. Das haben wir einmal zusammen aufgeschrieben. In Coimbra, als uns die ganze Welt zu gehören schien.«
    Es war eine Liste, und darüber stand: LEALDADE POR . Darunter hatten Prado und O’Kelly all die Gründe notiert, aus denen heraus Loyalität entstehen kann.
     
    Schuld am anderen; gemeinsame Entwicklungsschritte; geteiltes Leid; geteilte Freude; Solidarität der Sterblichen; Gemeinsamkeit der Ansichten; gemeinsamer Kampf gegen außen; gemeinsame Stärken, Schwächen; Gemeinsamkeit im Nähebedürfnis; Gemeinsamkeit des Geschmacks; gemeinsamer Haß; geteilte Geheimnisse; geteilte Phantasien, Träume; geteilte Begeisterung; geteilter Humor; geteilte Helden; gemeinsam getroffene Entscheidungen; gemeinsame Erfolge, Mißerfolge, Siege, Niederlagen; geteilte Enttäuschungen; gemeinsame Fehler
     
    Er vermisse auf der Liste die Liebe, sagte Gregorius. O’Kellys Körper spannte sich, und für eine Weile war er hinter dem Rausch wieder ganz wach.
    »Daran glaubte er nicht. Mied sogar das Wort. Hielt es für Kitsch. Es gebe diese drei Dinge, und nur sie, pflegte er zu sagen: Begierde, Wohlgefallen und Geborgenheit . Und alle seien sie vergänglich. Am flüchtigsten sei die Begierde, dann komme das Wohlgefallen, und leider sei es so, daß die Geborgenheit, das Gefühl, in jemandem aufgehoben zu sein, irgendwann auch zerbreche. Die Zumutungen des Lebens, all die Dinge, mit denen wir fertig werden müßten, seien einfach zu zahlreich und zu gewaltig, als daß unsere Gefühle sie unbeschadet überstehen könnten. Deshalb komme es auf Loyalität an. Sie sei kein Gefühl, meinte er, sondern ein Wille, ein Entschluß, eine Parteinahme der Seele. Etwas, das den Zufall von Begegnungen und die Zufälligkeit der Gefühle in eine Notwendigkeit verwandle. Ein Hauch von Ewigkeit , sagte er, nur ein Hauch, aber immerhin.
    Er hat sich getäuscht. Wir haben uns beide getäuscht.
    Später, als wir wieder in Lissabon waren, beschäftigte ihn oft die Frage, ob es auch so etwas gibt wie Loyalität sich selbst gegenüber. Die Verpflichtung, auch vor sich selbst nicht davonzulaufen. Weder in der Vorstellung noch in der Tat. Die Bereitschaft, zu sich zu stehen, auch wenn man sich nicht mehr mag. Er hätte sich umdichten mögen und dann dafür sorgen, daß aus der Dichtung Wahrheit würde. Ich ertrage mich nur noch, wenn ich arbeite , sagte er.«
    O’Kelly schwieg, die Spannung in seinem Körper ließ nach, der Blick trübte sich, sein Atem wurde langsam wie der eines Schlafenden. Es war unmöglich, jetzt einfach zu gehen.
    Gregorius stand auf und betrachtete die Bücherregale. Ein ganzes Regal voller Bücher über den Anarchismus, den russischen, den andalusischen, den katalanischen. Viele Bücher mit justiça im Titel. Dostojewski und immer noch mehr Dostojewski. Eça de Queirós, O CRIME DO PADRE AMARO , das Buch, das er beim ersten Besuch im Antiquariat von Julio Simões gekauft hatte. Sigmund Freud. Biographien von Pianisten. Schachliteratur. Und schließlich, in einer Nische, ein schmales Regal mit den Schulbüchern aus dem Liceu, einige fast siebzig Jahre alt. Gregorius nahm die lateinische und griechische Grammatik heraus und blätterte in den mürben Seiten mit den vielen Tintenklecksen. Die Wörterbücher, die Übungstexte. Cicero, Livius, Xenophon, Sophokles. Die Bibel, zerlesen und übersät mit Anmerkungen.
    O’Kelly wachte auf, doch als er zu sprechen begann, war es, als setze sich der Traum fort, den er soeben durchlebt hatte.
    »Er hat mir die Apotheke gekauft. Eine ganze Apotheke in bester Lage. Einfach so. Wir treffen uns im Café und reden über alles mögliche. Kein Wort von der Apotheke. Er war ein Geheimniskrämer, ein gottverdammter, liebenswerter Geheimniskrämer, ich habe niemanden gekannt, der die Kunst des Geheimnisses beherrschte wie er. Es war seine Form der Eitelkeit – auch wenn er das nicht hören wollte. Auf dem Rückweg bleibt er plötzlich stehen. ›Siehst du diese Apotheke?‹ fragt er. ›Natürlich sehe ich sie‹, sage ich, ›was ist damit?‹ ›Sie gehört dir‹, sagt er und hält mir einen Bund Schlüssel vor die Nase. ›Du wolltest doch immer schon eine eigene Apotheke, jetzt hast du sie.‹ Und dann hat er auch noch die ganze Einrichtung bezahlt. Und wissen Sie

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