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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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junge Frau los. David bewegte sich wie im Traum, während er von ferne hörte, wie die Waggontüren zugeschlagen wurden. Mechanisch schwang er sich in den {262} Güterwagen. Dann zog er Leokadja hinauf und nahm sie in die Arme. Abraham kauerte neben ihnen an der Wand des düsteren Waggons. Er hatte das Gesicht in den Armen vergraben und weinte. David hörte die Tür zuschlagen, und gleich darauf wurde es stockfinster um ihn her.
    Der Zug ruckte an und setzte seine langsame, unbarmherzige Fahrt fort.

21
    Es war eine bitterkalte Nacht. Sintflutartiger Aprilregen peitschte durch das Weichseltal, und über der ganzen Landschaft lag ein eintöniges Grau. Die Einwohner von Sofia, besonders diejenigen, die gezwungen worden waren, das Massengrab für die zweiundfünfzig Partisanen zu schaufeln, schauten in tiefer Trauer hinaus auf das trostlose Wetter. Die Hinrichtung hatte jedermann erschüttert, besonders nachdem bekannt geworden war, wie mutig diese zweiundfünfzig gegen die Nazis gekämpft hatten.
    Von den fünf Männern, die zu dieser späten Stunde in Edmund Dolatas Wohnzimmer saßen, hatten vier ein schlechtes Gewissen, denn diese vier hatten die Partisanen perönlich gekannt, hatten sie mit Nahrung versorgt und ihnen bei einer Gelegenheit sogar geholfen, deutsche Waffen von einem gesprengten Zug wegzutransportieren.
    »Wir sind ebenso schuldig wie sie«, sagte Edmund Dolata, der ganz nahe ans Feuer herangerückt war und dem es doch nicht warm werden wollte. »Wir haben mit ihnen zusammengearbeitet und ihnen geholfen. Wir gehörten ebenso zu ihnen wie jedes Mitglied ihrer Gruppe.«
    Einer der anderen vier, der in dem spärlichen Licht mit gesenktem Kopf dasaß, erwiderte leise: »Was willst du damit sagen, Edmund? Daß wir mit ihnen hätten sterben sollen?«
    »Nein, Jerzy. Ich meine nur, daß sie selbst im Angesicht deutscher Maschinenpistolen geschwiegen haben. Bis zuletzt versuchten die Nazis, aus ihnen herauszubekommen, wer in Sofia sie unterstützt hatte, doch sie gaben uns nicht preis.«
    {263} »Was hätte es ihnen auch genützt, unsere Namen zu nennen?« entgegnete Jerzy Krasinski und hob den Kopf. »Sie hätten ihr Leben damit nicht gerettet.«
    »Ich weiß nicht, Jerzy.« Dolata begann unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen. »Jedenfalls ist es wichtig für mich. Sie haben Schmidt unsere Namen nicht verraten.«
    Es trat eine Stille ein, die das Knacken des Feuers vor dem Hintergrund des prasselnden Regens noch lauter scheinen ließ. Durch die Fenster blickte man auf die Stadt, die unter dem tosenden Frühlingsgewitter in einen ruhelosen Schlaf versunken war. Der grausige Anblick auf dem Marktplatz hatte sich vielen Leuten tief ins Gedächtnis gegraben und ließ sich durch nichts verdrängen.
    Plötzlich hielt Dolata inne und meinte mit fester Stimme: »Ich denke, wir schulden ihnen etwas.«
    Seine Gefährten sahen einander an und richteten den Blick dann wieder auf Dolata. In dem dämmrigen Licht des Kamins, dem einzigen, das in Dolatas Wohnung brannte, war es schwierig, in den Gesichtern zu lesen, und doch teilte sich die gedrückte Stimmung allen fünf Männern mit. Eine erdrückende Schuld lastete auf ihnen, weil sie nichts getan hatten, um diesen zweiundfünfzig Männern und Frauen zu helfen.
    »Sie waren Partisanen«, ließ sich eine heisere Stimme vernehmen. Es war Feliks Broninski, Sofias Postmeister und ehemaliges Mitglied in Dolatas Stadtrat. »Sie kannten das Risiko, das sie eingingen. Sie kannten die Gefahren.«
    »Ja«, gab Dolata bitter zurück, »und wir kannten sie ebenfalls. Deshalb haben sie die Nazis bekämpft und wir nicht.«
    »Willst du damit sagen, daß wir Feiglinge sind?«
    Dolata starrte in die Gesichter seiner Kameraden.
    »Edmund«, sagte Jerzy Krasinski, »es ist nicht feige, wenn man überleben will. Ich habe Frau und Tochter, die ich beschützen muß, und ich will, daß sie diesen Krieg unbeschadet überstehen.«
    Dolatas Stimme wurde lauter. »Diese Männer und Frauen, die auf dem Marktplatz niedergemetzelt wurden, wollten Polen die Freiheit zurückgeben!«
    »Das ist doch unmöglich. Keine Macht wäre stark genug, die Nazis aufzuhalten.«
    {264} »Jerzy«, Edmund Dolata setzte sich Krasinski gegenüber und rang nervös die Hände, »du verstehst mich nicht richtig. Die Widerstandsbewegung denkt nicht, daß sie die Nazis aus Polen vertreiben kann. Aber sie kann ihnen den Aufenthalt hier doch tüchtig verleiden! Die Leute, die von Schmidt massakriert wurden, waren einst unsere

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