Nachtzug
ergänzen. Frauen trugen das Essen auf, während die Männer sich ihre Teller mit dampfendem Gemüse, deftigem Schinken, Pellkartoffeln, Sauerkraut, Würstchen, heißen, sämigen Suppen und Bergen von frischem Brot vollschaufelten. Wodka und Bier flossen in reichlichen Mengen. Akkordeon- und Geigenspieler erschienen, um das Fest musikalisch zu untermalen. Der kleine grüne Park zur Linken von Sankt Ambroż wimmelte von lärmenden und lachenden Menschen jeden Alters; Kinder und Hunde spielten im Gras, und überall zwischen den Kleinstädtern und Bauern tummelten sich die deutschen Soldaten, die dem Befehl von Sturmbannführer Maximilian Hartung unterstanden.
Ärzte, Laboranten und sogar Hartung selbst starrten reglos und ungläubig auf das Schauspiel. Noch bevor einer von ihnen reagieren konnte, kam der Laborant, der zurückgeblieben war, die Stufen des Hauptquartiers hinuntergeeilt.
»Herr Doktor!« rief er außer Atem und rannte auf den zweiten Wagen zu, in dem Fritz Müller noch immer wie angewurzelt saß und mit offenem Mund auf das Festgelage starrte. »Herr Doktor! Hier sind die Testergebnisse der Krankenhauspatienten. Die Serum-Tests sind allesamt positiv. Jeder einzelne von ihnen. Ich habe mir nicht einmal die Mühe machen müssen, sie durch das Wasserbad zu ziehen, und die nächtliche Kühlung können wir uns auch schenken. Die Erreger {310} haben sofort Klumpen gebildet. Es besteht kein Zweifel, Herr Doktor, jede der Testpersonen im Krankenhaus hat Fleckfieber!«
Sichtlich bemüht, nicht die Beherrschung zu verlieren, antwortete Müller in ruhigem Ton: »Wir haben zwanzig weitere Proben. Bringen Sie sie hinüber ins Krankenhaus, und beginnen Sie sofort mit den Tests. Ich möchte, daß Sie und Ihr Kollege gleichzeitig daran arbeiten und mir die Ergebnisse so schnell wie möglich mitteilen.«
»Jawohl, Herr Doktor!« Die Laboranten eilten davon.
Müller stieg aus und trat in steifer Haltung auf Hartung zu. »Die sieben Fälle waren positiv«, sagte er mit gepreßter Stimme. »Alle positiv.«
Der Sturmbannführer schenkte der Meldung seines Freundes kaum Beachtung. Sein durchdringender Blick war auf das Schauspiel im Stadtpark geheftet. Schließlich meinte er leise: »Das überrascht mich nicht. Szukalski mußte damit rechnen, daß Sie sie untersuchen würden. So ist es ganz logisch, daß er die echten Fleckfieberfälle im Krankenhaus untergebracht hat. Er kann den Schwindel jedoch unmöglich in allen Dörfern und auf allen Gehöften der Gegend durchziehen. Ich versichere dir, Fritz, in ein paar Minuten wirst du selbst sehen, daß ich recht hatte.«
Müller blickte hinüber zu Szukalski, der mit einem der anderen Ärzte offensichtlich eine entspannte Unterhaltung führte. »Er sieht nicht beunruhigt aus, Max. Er macht sogar einen ziemlich selbstsicheren Eindruck. Die ganze Sache gefällt mir nicht. Dieses Dorf war einfach furchtbar! Wirklich, ich kann nicht fassen, daß ich mich in ein solches Dreckloch habe lotsen lassen!«
Müller wandte sein wutverzerrtes Gesicht in die Richtung, in die Hartung starrte, und beim Anblick der feiernden Soldaten zischte er:
»Und was zum Teufel geht da drüben eigentlich vor sich?«
»Entschuldige mich einen Augenblick, Fritz«, erwiderte Hartung gelassen. »Ich werde nachsehen.«
Dr. Müller spürte, wie sich jeder Muskel und jeder Nerv seines Körpers zum Zerreißen spannte, als er die große, anmaßende Gestalt Max Hartungs über die Straße auf die Stelle zuschreiten sah, wo die verwaisten Panzer standen, die nur von ein paar Mann notdürftig bewacht wurden. Als er eine Stimme hinter sich hörte, fuhr er herum.
{311} Es war Dieter Schmidt. »Nun, Herr Doktor? Was haben Sie herausgefunden?«
Müllers kalte, blaßblaue Augen blickten prüfend in das Gesicht des SS -Kommandanten. Den Arzt überlief ein Schauder. Irgend etwas stimmte nicht in dieser Stadt. Irgend etwas war faul.
Sie warteten vor dem Gestapo-Hauptquartier, bis die Testergebnisse eintrafen. Und als die beiden Laboranten ihrem Vorgesetzten bleich und zitternd Meldung machten, verlor der deutsche Arzt endgültig die Beherrschung. »Hartung!« brüllte er.
Der Sturmbannführer beratschlagte sich gerade mit dem Panzeroffizier, wie man bei der Zerstörung der Stadt am besten vorgehen sollte. Als er seinen Namen hörte, blickte er überrascht auf.
»Komm hierher!« schrie Müller. Der Offizier verzog sich an die Festtafel. Hartungs Miene verdüsterte sich. Die Besorgnis stand ihm ins Gesicht
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