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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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Büro, während ihre Kleidung über heißem Wasserdampf gereinigt wurde. In spannungsgeladenem Schweigen untersuchten sie sich gegenseitig auf Läuse und benahmen sich bei dieser demütigenden Verrichtung so gespreizt, daß es fast schon grotesk wirkte.
    Das seltsame Schweigen wurde gebrochen, als einer der Ärzte aufstöhnte: »Gott im Himmel, ich habe eine gefunden!« und eine Laus aus seinem Schamhaar klaubte. »Dabei bin ich nur mal hinter eine dieser Hütten pinkeln gegangen, und schon habe ich Läuse!«
    Das genügte, um Müller, der auf der Seite stand und lange Zeit geschwiegen hatte, erneut überkochen zu lassen. »Du bist so still, Sturmbannführer«, meinte er spöttisch. »So schweigsam habe ich dich ja noch nie erlebt. Gewöhnlich weiß man gar nicht, wie man dich abstellen soll.«
    Alle Augen richteten sich auf den SS -Mann, der unbeweglich dastand und keine Miene verzog.
    »Hast du nichts zu sagen, Hartung?« fuhr Müller unerbittlich fort. »Oder versagt dir die Stimme, wenn man dir deine schicke schwarze Uniform wegnimmt? Weißt du, was du uns angetan hast? Du hast uns alle einer Krankheit ausgesetzt, die für jeden einzelnen tödlich enden kann. Und das nur wegen deines verdammten Ehrgeizes! Du {314} würdest deine eigene Mutter umbringen, wenn es deiner Karriere nützt. Aber eines verspreche ich dir: Von diesem Tag an bist du ein Nichts! Dafür werde ich schon sorgen …«
    Müller sprach immer weiter, sein Zorn und seine Angst brachen wie ein Wasserfall aus ihm hervor, und der stumme Schrecken, der jedermann im Raum tief in den Gliedern saß, machte sich in seinen Worten Luft. Doch Maximilian Hartung hörte nichts davon. Der SS -Mann hielt seinen durchtrainierten, muskulösen Körper aufrecht, während seine Augen einen Punkt fixierten, den man durch das Fenster von Schmidts Büro gerade noch erhaschen konnte. Es war das graue Steindach des Krankenhauses von Sofia. Und während Maximilian Hartung haßerfüllt auf das Gebäude starrte, tat er einen fürchterlichen Schwur.
     
    Ruhe und Frieden kehrten wieder in Sofia ein, und Jan Szukalski wurde wie ein Held gefeiert. Doch er wollte sich das Verdienst am Sieg über die deutsche Delegation nicht allein zurechnen lassen. Bescheiden erklärte er: »Eigentlich waren wir mit dem Schwindel nur deswegen erfolgreich, weil die Deutschen, wie geplant, mitspielten. Ich hatte mich fest darauf verlassen, daß ihre Angst vor der Krankheit sie davon abhalten würde, die Patienten allzu gründlich zu untersuchen. Wenn Dr. Müller und seine Kollegen nicht so sehr um ihre eigene Sicherheit besorgt gewesen wären, hätten sie bei einer näheren Prüfung schnell festgestellt, daß die angeblichen Fleckfieberkranken ausgezeichnet Theater spielten. Statt dessen verließen sich die vorsichtigen Deutschen aber lieber auf die Ergebnisse des Weil-FelixTests. Sie meinten, wenn sie selbst die Blutproben abnähmen und die Tests durchführten, müßte das Resultat in jedem Fall richtig sein. Nicht wir haben uns vor den Deutschen gerettet, sondern die Deutschen haben uns vor sich gerettet.«
    Auch in der folgenden Zeit spritzen Maria Duszynska und Jan Szukalski weiter ihren Proteus-Impfstoff, während Hans Keppler und Anna in der Krypta für Nachschub sorgten. Der Sommer verging wie im Flug, ruhig und ungestört vom Schreckgespenst des Krieges, das in allen anderen Städten und Dörfern Polens namenloses Unheil anrichtete. Szukalski erstattete Dieter Schmidt jeden Tag Bericht. Die Epidemie nahm den erwarteten Verlauf, und die Bürger von Sofia gaben {315} weiterhin vor, Opfer der schlimmsten Fleckfieberepidemie in der Geschichte Polens zu sein.
    Kurz nach seiner Rückkehr nach Warschau wurde Maximilian Hartung das Kommando über seine Einsatzgruppe entzogen, und er wurde als Unterkommandant des Konzentrationslagers nach Majdanek in die Nähe von Lublin versetzt.
    Er übernahm das Unterkommando mit dem für ihn typischen Pflichtbewußtsein und fand zu seiner grausamen Befriedigung schnell heraus, daß Majdanek das ideale Ventil für die Wut und den Haß war, die seit seiner schmachvollen Niederlage in ihm gärten. Es dauerte nicht lange, bis ihm seine Grausamkeiten im Lager einen Namen eingetragen hatten, den er bis an sein Lebensende beibehalten sollte: Der Bluthund von Majdanek. Ende 1943 wurde ihm klar, daß seine Karriere zu Ende war, wenn die Ostfront erst unter dem russischen Vorstoß zusammenbrach. So sah Max Hartung seine einzige Chance in den Krematorien von

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