Nachtzug
Du mußt es mir sagen: Hättest du mich dann geheiratet?«
Er drückte ihre Hand fest und grinste schelmisch. »Wer behauptet denn, daß ich es nicht noch tue?«
Maria setzte sich in ihrem Stuhl zurück und schaute im Saal umher, in dem inzwischen eine gelöste Stimmung herrschte. Die Besucher hatten ihr Mahl beendet und tranken Wodka, sangen, lachten. »Jetzt spüre ich auch, daß Weihnachten ist. Ich bin so glücklich, daß du hier bist, Max.«
»Und wenn nicht? Was wäre dann gewesen? Hättest du eine triste Nacht im Krankenhaus verbracht und fiebrige Stirnen betastet?«
Sie lächelte und schlug den Takt mit dem Fuß.
»Warum hängt Szukalski dort rum, anstatt nach Hause zu gehen? Für ihn ist doch auch Weihnachten.«
»Wir haben einen ziemlich schweren Fall, auf den wir aufpassen müssen.«
{48} »Ist es dieser Zigeuner, den er erwähnt hat?«
Sie nickte. Dabei hielt sie den Blick auf die Tanzenden gerichtet. Eine flotte Polka ließ nun jeden übers Parkett wirbeln, so daß es im Saal donnernd widerhallte.
»Was ist denn mit ihm passiert?«
»Das Thema ist nicht gerade angenehm.«
»Mein Gott, er hat doch wohl keine ansteckende Krankheit?«
»O Max.« Sie wandte sich ihm wieder zu und lächelte. »Jan kümmert sich nicht nur um solche Patienten. Dieser Fall ist …, sagen wir mal, anders.« Maria beugte sich vor und erzählte Max leise die merkwürdige Geschichte des Zigeuners. Als sie geendet hatte, schwieg sie kurz und fügte dann hinzu: »Ich hoffe, daß er überlebt. Wir wollen ganz genau wissen, was da draußen im Wald vorgefallen ist.«
»Mein Gott«, flüsterte Max, »was haben die Deutschen bloß vor! Das ist ja unglaublich!«
In diesem Augenblick war die Polka zu Ende, und die Kapelle stimmte sofort einen flotten und vertrauten Takt an. Die Pärchen auf dem Parkett verteilten sich sofort wieder, um sich aufzustellen, und klatschten nach dem schnellen Dreiertakt in die Hände.
»Eine Mazurka!« entfuhr es Max. Er griff nach ihren Händen. »Maria, erinnerst du dich noch?«
Sie riß die Augen weit auf. »Oh, ich weiß nicht, ob …«
Maria konnte ihren Satz nicht beenden, denn schon hatte Max sie von ihrem Stuhl gerissen und wirbelte mit ihr über die Tanzfläche.
Pfarrer Piotr Wajda streifte müde seinen schweren Chorrock ab und hängte ihn vorsichtig in den Kleiderschrank auf einen Bügel. Er bewegte sich langsam, denn seine Gelenke und Muskeln schmerzten ihn.
Die Sakristei war in dieser Nacht besonders kalt, aber Pfarrer Wajda spürte von alldem nichts. Er trug schwer an der Last eines gequälten Gewissens und war so sehr damit beschäftigt, daß er seine Umgebung gar nicht mehr wahrnahm. Mit mechanischen Bewegungen streifte er seine Kleider ab, zog das weiße Chorhemd über den Kopf und legte es akkurat gefaltet in die Schublade. Dann verschloß er die Schränke, in denen sich die wenigen Meßgeräte befanden, die zwischen den Gottesdiensten in der Sakristei aufbewahrt wurden. Der andere Priester, {49} der ihm geholfen hatte, die Mitternachtsmesse zu zelebrieren, hatte zu einem abgelegenen Gehöft eilen müssen, um dort einem sterbenden Gemeindemitglied die Sterbesakramente zu spenden, so daß Pfarrer Wajda nun ganz alleine war. Und diese Einsamkeit war es, die er, mehr noch als die durchdringende Kälte und Feuchtigkeit, in dem kleinen Raum neben dem Altar verspürte. Pfarrer Wajda vergewisserte sich noch kurz, daß er nichts vergessen hatte. Dann verließ er den Raum gerade so weit, daß er die Kirche überblicken konnte, und stellte fest, daß sie leer war. Aus der Finsternis vernahm er das scharrende Geräusch, das sein mißgebildeter alter Küster Żaba verursachte, der sich mühselig an den Kirchenbänken vorbeischleppte.
Zuverlässig wie immer, drehte Żaba seine Runde und überzeugte sich, daß in der Kirche alles seine Ordnung hatte.
Pfarrer Wajda blickte zum Altar auf. Er betrachtete das weiße, von einer Borte gesäumte Tuch, die Kerzen und den Tabernakel, der den Leib Christi enthielt, und er überlegte, wohin der junge deutsche Soldat wohl gegangen war.
Plötzlich fiel ihm etwas ein, so daß er kehrtmachte und schnell nach hinten lief. Er hatte doch die Aufgabe bekommen, das Krankenhaus aufzusuchen und den Kranken die heilige Kommunion zu spenden, und die Morgenstunden des ersten Weihnachtstages rückten immer näher. Er wußte, daß jetzt Eile geboten war.
Doch die Trübsal, die ihn nicht mehr losließ, seit er die unglaubliche Beichte abgenommen hatte, zehrte
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