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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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an seinen Kräften, lähmte seinen Tatendrang und hielt ihn davon ab, sich konzentriert seinen Aufgaben zu widmen. Piotr Wajda fühlte sich wie der einsamste Mensch auf Gottes Erde. Nachdem er die notwendigen Utensilien in einer Tasche verstaut hatte, setzte er seinen viereckigen Hut mit der schwarzen Quaste auf und trat nach draußen in den Schnee.
    Sein Gang war schwerfällig; die schwere Verantwortung, die auf ihm als Träger eines solchen Geheimnisses lastete, schien ihn tiefer in den feuchten Schnee zu drücken. Sein halbes Leben lang war Piotr Wajda jetzt schon Priester in dieser Pfarrei, doch trotz seiner vierzig Jahre hatte er noch nie eine solche Angst gekannt.
    Er war so sehr in seine Sorgen und Gedanken vertieft, daß er nicht bemerkte, wie sich ihm auf der dunklen Straße ein Schatten näherte, und erst als die andere Person ihn fast umrannte und »Frohe Weih {50} nachten, Herr Pfarrer« murmelte, löste er seinen Blick vom Boden und schaute verwirrt auf.
    »Jan«, entfuhr es ihm leise, denn es war höchst ungewöhnlich, nach Mitternacht noch jemanden auf der Straße zu treffen. SS -Hauptsturmführer Dieter Schmidt, der Ortskommandant von Sofia, war unerbittlich, was die Durchsetzung der Ausgangssperre anbetraf, und achtete sorgsam darauf, daß seine Soldaten sie rücksichtslos durchsetzten. Zwei Ausnahmen jedoch hatte er, wenn auch widerwillig, zugelassen, und zwar für Priester und Ärzte, denn es lag im Wesen ihres Berufs, daß sie auch nachts oft herausgerufen wurden.
    Die Unruhe seiner Seele spiegelte sich auf dem Gesicht des Priesters wider, was der scharfen Beobachtungsgabe Dr. Szukalskis nicht entging. »Pfarrer Wajda, ich habe den Eindruck, daß es Ihnen nicht gutgeht.«
    »Nein, nein, mir geht es gut, wirklich. Was treibt Sie denn um diese Zeit auf die Straße, Jan? Es ist schon nach Mitternacht.«
    »Nun …« Er seufzte tief und blies eine kleine Dampfwolke in die kalte Luft. »Ich habe gerade erst die Klinik verlassen, und jetzt vertrete ich mir etwas die Beine und ordne meine Gedanken. Aber ich glaube, ich gehe doch besser nach Hause zu meiner Frau und meinem Sohn. Wenn mein Sorgenkind aufwacht, werde ich vom Krankenhaus gerufen.«
    Pfarrer Wajda nickte. Auch er hatte Szukalski eingehend gemustert und erkannt, daß seinen Freund etwas bewegte. »Und Sie, Jan, geht es Ihnen gut?«
    Der Arzt lachte leise. »Sie sorgen sich um meine Seele, Herr Pfarrer?«
    »Ja, denn ich habe den Eindruck, daß Sie irgend etwas bedrückt, Jan«, gab der Priester ernst zurück.
    Das Lächeln wich von Szukalskis Gesicht.
    »Jan«, fuhr der Priester mit sanfter Stimme fort, »werden Sie gleich noch auf sein? Ich muß mich erst noch um meine Schäfchen im Krankenhaus kümmern, aber danach …«
    »Ich werde noch nicht ins Bett gehen, Herr Pfarrer. Aber es ist wirklich nicht nötig, daß Sie vorbeikommen. Mir geht es gut, wirklich. Ich glaube, ich bin nur ein bißchen überarbeitet …«
    »Nein, Jan, ich will nicht Ihretwegen kommen; es geht um mich.«
    {51} Damit hatte Szukalski nicht gerechnet. Erneut forschte er im Gesicht seines Freundes, und der Ausdruck seiner weit aufgerissenen grauen Augen alarmierte ihn sehr. »Was ist denn los, Herr Pfarrer?«
    »Nicht hier, Jan, jetzt nicht. Besser später. Wenn …, ich meine, wenn ich überhaupt vorbeikomme, was ich ja eigentlich nicht …« Seine Stimme verlor sich.
    »Sie sind bei mir jederzeit willkommen, das wissen Sie doch, Herr Pfarrer.«
    »Ja, ja, natürlich. Also bis später dann. Jetzt muß ich aber wirklich los. Gute Nacht, Jan.«
    Jan Szukalski blieb noch eine Weile im Schnee stehen und sah dem Priester nach, der die Straße hinunterhastete. Pfarrer Wajda hatte ihm nicht einmal eine frohe Weihnacht gewünscht.
     
    Sie hatten sich immer wieder in Hauseingänge geflüchtet, um nicht von den patrouillierenden Soldaten ertappt zu werden, und waren schließlich unbemerkt an ihrer Wohnung angelangt.
    »Du hättest das Zimmer im Weißen Adler gar nicht mieten sollen«, murmelte Maria, während sie in ihrer Handtasche herumwühlte.
    »Hier ist doch genug Platz für dich.«
    Maximilian drückte sie gegen sich und legte sein Gesicht auf ihren Nacken. »Ich wußte doch nicht, was sich hier ergeben würde,
kochana
Maria. Das einzige, was ich herausfinden konnte, war, wohin man dich versetzt hatte. Ich sah dich vor mir als fette Mutter von sechs Kindern.«
    »In zwei Jahren?« Sie kicherte. »Ah, endlich!« Sie hatte die Schlüssel gefunden.
    Max, der betrunken

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