Nachtzug
einfließen ließ, und konnte es doch nicht verhindern. Er war stets der Auffassung gewesen, daß Dr. Duszynska niemals eine gute Ärztin sein konnte, aber genau das Gegenteil hatte sich als richtig herausgestellt. Maria Duszynska hatte sich als überraschend intelligente, kompetente und tüchtige Ärztin erwiesen, doch trotz dieser Einsichten bezüglich ihrer Fähigkeiten fiel es Jan Szukalski schwer, sie als ebenbürtig zu akzeptieren.
Vielleicht war ihre Schönheit der Grund dafür.
Szukalskis Gedanken schweiften zu dem Tag zurück, als sie sich im Krankenhaus vorgestellt hatte, und wie enttäuscht er gewesen war, als er sah, daß es sich um eine Frau handelte. Sein einziger Gedanke war damals gewesen, wie eine so junge, schöne und anmutige Frau die hohen Ansprüche eines Mannes würde erfüllen können. Und auch {42} seine Mitarbeiter im Krankenhaus hatten die junge Frau mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Maria Duszynska mit ihrem weizenblonden Haar und ihrer milchigweißen Haut hatte sich mit ihren sechsundzwanzig Jahren gegen viele Widerstände durchsetzen müssen.
Und sie hat es auch geschafft, mußte Jan sich eingestehen, während er im düsteren Licht seines Büros seinen Gedanken nachhing. Dennoch wäre alles viel besser, wenn sie ein Mann wäre …
Seine Gedanken gerieten aus ihren geordneten Bahnen, wurden zunehmend konfuser. Er war damit überfordert, all die Dinge abzuwägen, die bedacht werden mußten. Irgend etwas tief in ihm ließ ihn spüren, daß das, was er in den letzten beiden Jahren vorhergesehen und immer befürchtet hatte, womöglich wirklich eingetreten war, und dieser Zigeuner mit seiner furchtbaren Geschichte bestärkte ihn nur noch in seinen Vorahnungen. Und neben all diesen Sorgen setzten ihm auch noch seine patriotischen Empfindungen zu, die immer nur enttäuscht worden waren, insbesondere als er sich vor vier Jahren als Freiwilliger bei der polnischen Armee gemeldet und man ihn wegen seiner Behinderung abgelehnt hatte. Als die Deutschen 1939 in Polen einmarschierten, hatte Szukalski untätig bleiben und das Debakel als Außenstehender miterleben müssen.
Er erhob sich aus seinem Sessel und begann, auf und ab zu gehen. Seine Gedanken überschlugen sich fast. Als würde dieses Debakel nicht genügen, hatte man noch irgendwelche sadistischen Schweine zu seinen Herren gemacht, die ihre eigenen Gesetze schufen, das ganze Leben mit Angst erfüllten, einen jeden beobachteten, drangsalierten und ihn zum Sklaven in seiner eigenen Stadt machten. Aufgeblasene Mistkerle wie dieser Dieter Schmidt, die Furcht und Schrecken verbreiteten und ihm sagen wollten, wie er sein Krankenhaus zu leiten hatte! Und wie sollte er, bitte schön, ein Krankenhaus führen, wenn sie ihm seinen besten Arzt wegnahmen, nur weil er Jude war, und ihn durch eine Frau ersetzten? Und was war mit der Versorgung des Krankenhauses? War es nicht eine Zumutung, Krankenschwestern mit Listen in die Städte schicken zu müssen, um dort die simpelsten Dinge wie Äther und Verbandsmaterial zu besorgen, die selbst das ärmste Krankenhaus vorrätig haben sollte!
Jan Szukalski, dreißig Jahre alt, von der Welt enttäuscht, ein hum {43} pelnder Krüppel, beschloß, der erdrückenden Enge seines Büros zu entfliehen und sich im Schnee die Füße zu vertreten.
Maria Duszynska und Maximilian Hartung kicherten leise, während sie Arm in Arm die Straße hinunterschlenderten. Sie genossen diesen Spaziergang zur Weichsel, an deren Ufer der Weiße Adler, das einzige Hotel der Stadt, lag, und sie sprachen nur wenig, um diesen wunderbaren Augenblick gänzlich auszukosten.
Zweimal hatten die Soldaten des örtlichen SS -Kommandanten Dieter Schmidt sie angehalten und ausgefragt; zweimal hatten sie den Soldaten ihre Papiere vorzeigen und ihre Anwesenheit auf der Straße zu dieser Tageszeit erklären müssen; und genauso oft hatte man sie brüsk an die Ausgangssperre nach zehn Uhr erinnert. Aber diese Unterbrechungen hatten ihrer guten Stimmung nichts anhaben können.
»In einem Monat«, murmelte sie ihm zu, während der vom Fluß kommende Wind ihnen ins Gesicht schnitt, »du hast damals gesagt, daß du in einem Monat zurück seist. Und das ist jetzt schon zwei Jahre her. Was ist bloß geschehen, Max?«
Hartung blinzelte gegen den Wind und kniff die Augen zusammen. Seine Lippen wurden bleich und schmäler. Während er nach Worten für seine Antwort suchte, studierte Maria sein Gesicht.
Er hatte sich in diesen zwei Jahren nicht
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