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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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ich gesehen habe!«
    {56} Abraham setzte sich neben David ans offene Feuer und beugte sich gespannt vor. »Wir haben nicht gedacht, daß du so lange fortbleiben würdest, David. Wir haben uns alle sehr um dich gesorgt.«
    »Das tut mir leid, meine Freunde, aber ich mußte etwas herausfinden.«
    Moisze war völlig überrascht. »Herausfinden? Was denn herausfinden? Du bist doch losgezogen, um zu erkunden, ob sich die Deutschen in der Nähe des Flusses herumtreiben. Was gab es denn sonst noch zu entdecken?«
    David starrte aus seinen dunklen, fiebrig funkelnden Augen vor sich hin und sagte mit gedämpfter Stimme: »Ich mußte herausfinden, wohin die Nachtzüge rollen.«
    »O David …«, seufzte Abraham Vogel bedrückt. Der zwanzigjährige Berufsgeiger, ein sanfter Mensch von schmächtiger Statur mit verträumten Zügen, war Davids bester Freund.
    »Und weißt du jetzt, wohin die Nachtzüge fahren?« erkundigte sich Moisze.
    »Ja, und ich weiß auch, was sie transportieren.«
    Esther Bromberg, eine magere Frau, die gerade etwas heiße Suppe aus dem brodelnden Topf über dem Feuer schöpfte und die Schale dem jungen Mann reichte, fragte: »Wo bist du denn gewesen, David?«
    Er blickte weiter Moisze an. »Ich war in Oświęcim.«
    »Oświęcim!« entgegneten ihm mehrere Stimmen gleichzeitig. »Aber warum denn gerade dort?«
    »Weil dort die Züge hinfahren, Moisze. Dort werden sie entladen.«
    »Und was transportieren sie, David?« erkundigte sich Abraham sanft.
    »Menschen, Abraham. In den Zügen befinden sich Menschen, alle möglichen Menschen, darunter auch Kinder, Schwangere und alte Menschen, und die meisten von ihnen sind Juden.«
    »Klar«, überlegte Moisze Bromberg und fuhr sich mit seinen dicken Fingern durch das graumelierte Haar, »in Oświęcim befindet sich ja ein Arbeitslager. Außerdem werden auch Juden dorthin umgesiedelt. Sie sollen dort ihre neue Heimat bekommen.«
    David schüttelte energisch den Kopf: »Nein, Moisze, es ist ein Todeslager, in dem man alle hinrichtet oder Hungers sterben läßt! Und {57} Birkenau dient ausschließlich als Vernichtungslager! Dort gibt es Gaskammern und Krematorien und …«
    »Das kann nicht wahr sein!« flüsterte Esther Bromberg.
    »David«, fragte Moisze mit immer noch unerschütterter Stimme, »wie kannst du dir so sicher sein?«
    Das Gesicht des Jungen verfinsterte sich. Er starrte auf seine Hände. »Ich war nahe genug dran, um alles zu beobachten. Die Gleise teilen das Lager. Auf der einen Seite, die sie Auschwitz nennen, befinden sich mehrere Fabriken und große Gebäude, die wie Kasernen aussehen.« Davids Stimme wurde ruhig und ernst. »Es war nicht einfach, zu erkennen, was dort genau vor sich geht, aber ich sah viele Gefangene in gestreifter Lagerkleidung draußen im Schnee. Viele von ihnen lagen auf dem Boden, sie waren offensichtlich tot.«
    »Wie nahe bist du rangekommen?« wollte Moisze wissen.
    »Bis auf ungefähr dreihundert Meter, nahe genug, um mit diesem Feldstecher alles genau beobachten zu können. Noch näher ranzugehen habe ich mich nicht gewagt, denn an den Zäunen liefen SS -Männer mit Hunden Patrouille.«
    Einige Augenblicke kehrte ein bedrücktes Schweigen ein, bis es von einer sanften Stimme unterbrochen wurde, die vom Rande der Fläche her kam, welche durch das Feuer beleuchtet wurde: »Hast du meinen Mann gesehen, David?«
    Er blickte auf und gewahrte die ältere Frau, die sich an ihn gewandt hatte und die sich, auf einem Felsen hockend, in den Armen wiegte. David konnte sich nicht genau erinnern, warum sie sich ihrer Gruppe angeschlossen hatte. Alle Geschichten waren sich so ähnlich. Man war halt vor den Deutschen geflüchtet.
    »Nein,
Pani
Duda«, entgegnete er behutsam. »Ich habe deinen Mann nicht gesehen.« David wandte sich wieder dem früheren Metzger zu.
    »Ich habe niemanden erkannt, Moisze, aber bei der Entfernung und der gestreiften Kleidung, die sie alle trugen, war es auch unmöglich. Moisze, wir müssen unbedingt etwas unternehmen!«
    Der ältere Mann schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich kann es kaum glauben, David. Ein Todeslager! Das scheint mir ein Ding der Unmöglichkeit. Bestimmt irrst du dich …«
    »Was er sagt, stimmt.«
    Die drei Juden wandten sich in die Richtung, aus der die letzten Worte {58} gekommen waren. Eine hünenhafte Gestalt baute sich vor ihnen auf und schien die ganze Höhle-auszufüllen.
    Moisze erhob sich sofort. »Ah, David, in meiner Aufregung über unser Wiedersehen habe ich ganz unsere

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