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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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unbedingt dabei zu sein. Nur er wußte, wo sich die begehrten Vorräte befanden, und er alleine war in der Lage, Nitroglyzerin herzustellen. Außerdem war er fest entschlossen, an den Schauplatz der schlimmsten Ereignisse seines Lebens zurückzukehren und sich der Erinnerung zu stellen.
    Und so hatten sich Matuszek und der eisern entschlossene alte Ben Jakobi nach dem Sonnenuntergang zu Fuß auf den Weg gemacht und waren kurz nach Mitternacht im jüdischen Viertel angelangt. Ein paar Weihnachtskerzen in fernen Fenstern stellten das einzige Zeichen von Leben dar. Außer den zwei Partisanen und den wie ge {93} wöhnlich patrouillierenden deutschen Soldaten war um diese Zeit niemand auf der Straße.
    Als sie die ausgeplünderte Apotheke erreichten, blieb Jakobi stehen und lehnte sich gegen eine Wand. »Ich muß nur etwas Luft holen«, keuchte er.
    »Haben Sie Probleme?«
    Jakobi nickte. Der kalte Schweiß, der ihm über Gesicht und Hals lief, gerann langsam zu Eisperlen, doch er machte keine Anstalten, ihn abzuwischen. Seine Erschöpfung rührte nicht von der physischen Beanspruchung her, sondern von dem Schrecken, der ihn ergriffen hatte. Auch wenn sein Leid ihm den Mut und den Willen gegeben hatte, Matuszek zu begleiten, so zerrte es doch an seinen Kräften. Begierig sog er die schneidende kalte Winterluft ein.
    »Nein, nein, es geht schon«, flüsterte er. »Wir können rein.« Der eigentliche Apothekenraum war bis auf ein paar leergefegte Regale völlig zerstört. Die beiden Männer stiegen über den Schutt in den hinteren Teil des Geschäfts. Hier hatte Ben Jakobi die meisten seiner Vorräte untergebracht, und hier hatten die Deutschen ihr Vernichtungswerk präziser betrieben. Brunek entzündete ein Streichholz und leuchtete die Schränke ab. Er stellte fest, daß die besten Vorräte schon vor längerer Zeit entfernt worden waren.
    »Aber ein paar Sachen haben sie trotzdem zurückgelassen«, flüsterte er und winkte den alten Mann zu sich, der sich wie in Trance bewegte.
    »Was ist das?«
    Der Apotheker entzündete ebenfalls ein Streichholz und suchte den Vorratsschrank genau ab. Ein paar staubige Fläschchen und Zinndosen reflektierten hier und da das Licht des Streichholzes. »Abführmittel«, flüsterte er, »und ein Magenmittel, aber hier …« Er streckte seine zitternde Hand aus, hielt ein Gefäß in die Höhe und jubelte:
    »Glyzerin!«
    Brunek nahm das Gefäß an sich und blickte sich rasch um. An einer Wand befand sich ein Labortisch, der mit den Scherben der zerschlagenen Gefäße übersät war.
    Die beiden Männer huschten zu dem Tisch und wühlten schnell zwischen den Überresten, unter denen sie ein Becherglas, ein paar intakte Flaschen und ein verstaubtes Thermometer fanden. »Jetzt können wir loslegen«, flüsterte Matuszek.
    {94} Jakobi benutzte seinen Wollschal, um das Becherglas vom Staub zu reinigen, während Brunek zwei abgedichtete Gefäße unter seinem Mantel hervorzog. »Es wäre wohl am besten, wenn wir jetzt gleich etwas Sprengstoff herstellen würden und ihn vor der Stadt ausprobieren«, meinte er. »So wissen wir wenigstens, daß wir wirklich haben, was wir brauchen. Die restlichen Sachen packen wir ein, so daß wir später, wenn es an der Zeit ist, größere Mengen Nitroglyzerin herstellen können. Außerdem lassen sich die Chemikalien getrennt besser lagern.«
    Brunek öffnete die beiden Gefäße, die kleine Mengen der Chemikalien enthielten, die David und Abraham in der kleinen Farben- und Lackfabrik gestohlen hatten und auf deren Etiketten »Salpetersäure« und »Schwefelsäure« stand.
    »Wir haben wirklich Glück gehabt, daß wir das alles auftreiben konnten«, flüsterte der Hauptmann. »Jetzt brauchen wir eine Art Eisbad. Funktioniert das Themometer noch?«
    Jakobi testete es mit Hilfe eines Streichholzes. »Ja, und hier werden wir das Wasser einlassen«, sagte er und wies auf ein Spülbecken.
    Während der Apotheker das Becken füllte, machte sich Matuszek daran, das Becherglas mit wohlbemessenen Mengen der beiden Säuren zu füllen. »Wenn ich das Glyzerin hinzufüge, müssen wir darauf achten, daß die Temperatur zehn Grad nicht übersteigt.« Jakobi blickte zu dem Soldaten auf, der im Dunkeln stand. »Ich glaube, wir sind soweit«, sagte er leise.
    Dem großen Mann rannen Schweißperlen über die Stirn, als er sich anschickte, den Säuren langsam Glyzerin hinzuzufügen. »Vorsicht«, flüsterte er rauh, »mit dem Thermometer nicht das Becherglas erschüttern. Sie wissen ja,

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