Nachtzug
Schweine mir zu nahe kommen. Los, wirf die Flasche zu mir rüber.«
Brunek zwinkerte Ben Jakobi kurz zu. Dann versetzte er sanft: »Bitte schön …«
Der große Pole schleuderte die Flasche plötzlich hoch in die Luft und hoffte, daß er sich nicht verrechnet hatte und die Flasche genau hinter den Soldaten aufschlug. Aber als die Deutschen sahen, daß das Wurf {97} geschoß hinter ihnen aufprallen würde, sprangen sie zurück, und es gelang einem von ihnen, die Flasche sanft aufzufangen.
Ben Jakobi wimmerte erneut, und Brunek spürte, wie er vor Anspannung wankte.
Der Soldat hielt die Flasche in der Dunkelheit vor seine Augen und musterte sie sorgfältig. »Hustenmedizin also? Da habe ich aber einen ganz anderen Eindruck. Scheint mir eher Wodka zu sein. Wollt ihr beiden etwa ein Fest feiern?«
»Bitte, bitte«, flehte Brunek leise, »es ist wirklich Medizin, und wir haben kranke Kinder, die sie sofort brauchen.«
Der deutsche Soldat verzog sein Gesicht zu einem hämischen Grinsen, beugte sich vor und legte die Flasche auf einen großen, flachen Stein. »Schau her, was ich von deiner Medizin halte!«
Voller Entsetzen starrten die beiden Polen auf den Deutschen, der den Fuß über die Flasche hob, um sie zu zertreten, und als der schwere Stiefel sich senkte, warf sich Brunek auf Jakobi und riß ihn zu Boden, bevor eine Explosion die Nacht zerriß. Für einige Augenblicke lagen sie reglos auf dem Boden, dann, noch leicht taumelnd, erhoben sie sich und erblickten zu ihren Füßen den Krater im Schnee, den eine Korona aus Staub, Steinen und blutigen Fleischfetzen umrandete.
Ben Jakobi torkelte vorwärts und drückte sich rasch eine Hand vor den Mund, aber Brunek ergriff ihn und hielt ihn fest.
»Nun«, atmete der Hauptmann erleichtert durch und kämpfte gegen seine eigene Übelkeit, »wir scheinen auf dem richtigen Weg zu sein …«
Sie verharrten noch eine kurze Zeit schweigend am Ort der Explosion, um ihre Kräfte wieder zu sammeln und sich von dem Schrecken zu erholen. Sie konnten ihren Blick nicht von der tiefen, blutdurchtränkten Grube lösen, in der die Fetzen grauer Uniformen verstreut lagen.
»Ich kann einfach nicht glauben, daß so wenig Nitroglyzerin so viel anrichten kann«, staunte Jakobi.
»Warten Sie nur, was es bei einer Brücke anrichten kann. Kommen Sie, wir nehmen das Motorrad der Soldaten. Es wird nicht lange dauern, bis es hier von Deutschen nur so wimmelt. Bestimmt hat jemand die Explosion gehört.«
Er startete den Motor und ließ ihn warmlaufen, während der Apotheker in den Beiwagen stieg und den Tornister auf seinem Schoß ver {98} staute. Dann entfernten sich die beiden Partisanen durch den knirschenden Schnee und verließen den Ort, an dem nur noch ein roter Krater an die beiden deutschen Soldaten erinnerte, die dort kurz zuvor noch gestanden hatten.
7
Als Jan Szukalski am nächsten Morgen in aller Frühe durch den weichen Schnee schlurfte, versuchte er sein Gesicht durch den hochgestellten Kragen seines langen Mantels vor der Kälte zu schützen. Es schneite ungewöhnlich heftig, die Flocken fielen heimtückisch schräg vom Himmel und wehten ihm, zu scharfen Eiskristallen gefroren, entgegen. Es war ihm schwergefallen, die wohlige Wärme unter seiner Daunendecke zu verlassen und das Frühstück, das Katarina zubereitet hatte, so rasch zu beenden. Gerne noch hätte er etwas länger den starken Kaffee, die Hühnerbrühe und den Haferbrei genossen, doch es gab im Krankenhaus eine Menge zu erledigen. Neben den üblichen Patienten wartete diesmal ein ungewöhnlicher Fall auf ihn, dieser junge deutsche Soldat, den Pfarrer Wajda ihm vorbeischicken wollte.
Auf dem Weg zum Krankenhaus ließ Szukalski sich den vergangenen Abend noch einmal durch den Kopf gehen.
Nach dem Mittagessen war Maria Duszynska unerwartet mit Max Hartung, ihrem Freund aus Warschau, aufgetaucht. Sie hatten eine Flasche echten französischen Wein dabeigehabt und ein größeres Stück Kuchen. Außerdem hatte Alexander von Maria ein kleines Geschenk bekommen.
Als er seinem Sohn zugesehen hatte, wie dieser versuchte, seine kleine, wulstige Hand in die Handpuppe zu stecken, die ein von Maria genähtes Frottee-Kleid trug, da mußte er lachen, bis ihm die Tränen übers Gesicht liefen, und als er sich bei Maria Duszynska bedankte, da hatte dieser Dank mehr dem Lachen gegolten, das sie ihm geschenkt hatte, als dem eigentlichen Spielzeug.
»Das war wirklich nett von Ihnen«, hatte Jan zu ihr gesagt und bereute, daß er
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