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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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hinter seinen Schreibtisch ging, versuchte er plötzlich zu verbergen, daß er humpelte. Er war {103} überrascht, wie jung der Soldat war. Zwar hatte der Priester ihm schon davon erzählt, aber trotzdem hatte Szukalski sich jemanden vorgestellt, der kräftiger war als dieser Junge, jemanden, der härter und älter wirkte. Statt dessen sah er sich einem runden, sanften Gesicht, weit aufgerissenen blauen Augen und einem Schmollmund gegenüber, der etwas Unschuldiges an sich hatte.
    Dr. Szukalski fühlte, wie sich seine reservierte Haltung etwas lockerte. Es handelte sich nicht um die Art von Gegner, mit der er gerechnet hatte.
    » SS -Rottenführer Hans Keppler«, stellte sich der junge Mann nervös vor.
    Es fiel ihm nicht schwer, das Unbehagen des jungen Mannes zu erfühlen und seine Verlegenheit zu erkennen, und so eröffnete Jan Szukalski das Gespräch: »Pfarrer Wajda und ich hatten vorletzte Nacht eine längere Unterredung.«
    Keppler nickte.
    Szukalski nahm sich noch einmal einen Augenblick Zeit, um den Jungen zu mustern. Sein streng geschnittenes blondes Haar, der tadellose Sitz seiner Uniform – genau diese Art von Uniform hatte Hitler getragen, als er Polen den Krieg erklärte –, die Luger im Halfter an seinem Gürtel und die glänzenden schwarzen Stiefel fügten sich zu einem sehr soldatisch wirkenden Gesamteindruck. Nur dieses Gesicht paßte nicht dazu. Und der ängstliche, unstete Blick.
    »Hat er Ihnen von dem Lager erzählt?«
    »Ja, das hat er. Auch wenn einiges unglaubwürdig klang …«
    »Alles ist wahr, alles, Dr. Szukalski!« Keppler rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Ich weiß, daß ich mein Vaterland verraten und die Ehre meiner Familie beschmutzt habe, aber ich konnte nicht mehr damit leben. Einigen, den meisten sogar, glaube ich, macht die Arbeit im Lager Spaß. Diese Grausamkeit, dieser Sadismus … Aber ich kann es nicht mehr aushalten. Mehr als ein Jahr habe ich es jetzt mitansehen müssen, aber jetzt … Und dann …«
    »Sie haben einen zweiwöchigen Urlaub.«
    »Der Lagerarzt hat gesagt, daß ich Urlaub brauche. Ich leide unter furchtbaren Alpträumen, ich schreie im Schlaf. Und ich kann nichts mehr essen, Doktor. Die Übelkeit hat sich in meine Eingeweide gewühlt.«
    {104} Die ersten Worte sprudelten förmlich aus ihm heraus, dann stockte er wieder, redete ungeordnet wie schon zuvor im Beichtstuhl, doch bald fiel ihm das Sprechen leichter. »Bestimmt werden Sie mir nicht glauben, denn keiner kann so etwas glauben, selbst ich nicht am Anfang. Aber vor sechs Monaten erging dann ein direkter Befehl von …«
    Keppler hielt plötzlich inne und blickte zur Tür.
    »Machen Sie sich keine Sorgen«, beruhigte Szukalski ihn, »hier kann uns niemand hören. Sprechen Sie nur.«
    Keppler fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und setzte dann seinen Bericht, jetzt etwas beruhigter, fort: »Vor sechs Monaten wurde dem Lagerkommandanten Höß von Himmler persönlich befohlen, die Gaskammern und Öfen zu bauen und eine umfassende Liquidierungsaktion einzuleiten. Meine Aufgabe bestand darin, die Neuankömmlinge, die keine Kleidung am Leib hatten und wie Vieh zusammengepfercht waren, zu beruhigen und ihnen zu versichern, daß ihnen nichts geschehen werde, daß sie nur zum Duschen und zur Entlausung geschickt und später dann neue Kleidung erhalten würden. Und da standen sie dann, die wimmernden Alten, die weinenden Kinder, die zornigen, von Angst erfüllten Männer und unschuldigen jungen Frauen … O mein Gott!«
    Plötzlich vergrub Hans das Gesicht in den Händen, und seine Finger glitten über seine Stirn, die inzwischen schweißnaß war. Sein Mageninhalt kam ihm hoch, füllte seinen Mund mit dem ihm vertrauten säuerlichen Geschmack von Galle, und sein Herz pochte wie wild in seiner Brust. Durch den Nebel, der vor ihm aufzog, hörte er eine Stimme: »Stimmt etwas nicht mit Ihnen?« Hans Keppler nahm alle seine Kräfte zusammen und setzte sich auf. Dabei fuhr er sich mit seiner feuchten Hand durchs Haar. »Es wird schon vorbeigehen«, flüsterte er, »so wie immer.«
    »Falls es Ihnen hilft«, erklärte Szukalski ruhig, »ich glaube Ihnen.«
    Keppler nickte.
    »Erzählen Sie mir«, erkundigte sich Szukalski vorsichtig und wägte seine Worte, »gibt es noch andere Lager wie dieses?«
    »O ja, Auschwitz ist nicht das einzige. Es gibt da einen Plan.« Keppler blickte wieder schnell zur Tür und sprach jetzt noch leiser als zuvor.
    »Bevor ich nach Auschwitz ging, gab man mir eine

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