Nachtzug
untersuchen, die Sie mir verabreichen wollen?«
Szukalski schüttelte den Kopf und griff in seine Tasche nach einer Packung Zigaretten, von denen er Keppler eine anbot. Während er sich und Keppler die Zigarette ansteckte, erklärte der Arzt weiter: »Ich habe allen Anlaß, anzunehmen, daß ich der einzige bin, dem die Möglichkeit bekannt ist, ein falsch positives Ergebnis vorzutäuschen. Diese Substanz, dieser Impfstoff, ist meine eigene Entdeckung.«
»Verstehe …«
»Nun ist es aber so, daß dieser Impfstoff niemals an Menschen ausprobiert worden ist, und deshalb kann ich nicht sicher vorhersagen, was in einem solchen Fall geschehen wird. Der Impfstoff, den ich noch herstellen muß, ist anderen, bereits bewährten Impfstoffen sehr ähnlich; allerdings bedient man sich für seine Gewinnung eines Bakterienstammes, den man für solche Zwecke bisher nicht benutzt hat. Ich habe ihn an Tieren ausprobiert, aber immer nur an kleinen wie Meerschweinchen. Selbst an großen Tieren habe ich noch keine Versuche gemacht. Die harmloseste Komplikation bestünde darin, daß das Mittel nicht so wirkt, wie ich es mir wünsche, die schlimmste, daß Sie auf {126} irgendeine Weise allergisch reagieren und an der Injektion sterben.«
»Verstehe …«, murmelte Keppler wieder, dem seine Gedanken ins Gesicht geschrieben standen. »Ich will es mal so sagen, Herr Doktor: Ich habe nichts zu verlieren, und wenn es schiefgeht, dann stehe ich eben wieder am Anfang meiner Bemühungen. Wenn ich sterbe, dann …« Er schien sich in sein Schicksal zu fügen. »Dann werden mir halt weitere Probleme erspart. Wann können wir beginnen?«
»Der Impfstoff muß noch hergestellt werden, ich hoffe, daß ich in sechs Tagen soweit bin. Wie lange haben Sie Urlaub? Zwei Wochen? Dann haben wir noch Zeit. Schauen Sie in vier Tagen wieder rein, und ich werde Ihnen sagen, wie ich vorankomme.«
Keppler erhob sich und setzte sich ungelenk und verkrampft die Wollmütze auf. Während er seine Hand rasch vorstreckte, um sich von Szukalski zu verabschieden, stieß er angespannt aus: »Ich kann Ihnen gar nicht genug danken, Herr Doktor.«
»Danken Sie mir nächste Woche, Keppler. Einen schönen Tag noch.«
Hans Keppler war so sehr mit der Möglichkeit beschäftigt, daß der polnische Arzt ihm helfen könnte, daß er die junge Frau, die ihm auf den vereisten Stufen des Krankenhauseingangs begegnete, kaum bemerkte.
Doch plötzlich blieb er stehen und drehte sich um. »Hallo!« rief er.
Anna Krasinska blickte sich ebenfalls um, und als sie ihn winken sah, ging sie die Stufen wieder hinunter, bis sie ihn erreicht hatte. Ihr hübsches Gesicht wirkte zuerst skeptisch, aber als sie Hans Keppler erkannte, hellte sich ihre Miene auf. »Ach, Sie sind es!«
Keppler lächelte sie an und erfreute sich an ihren liebenswürdigen Zügen, an ihrem geschmeidigen braunen Haar, das auf ihre Schultern herabfiel und sich an den Spitzen kräuselte. Ihre großen braunen Augen und die dünnen, spitz zulaufenden Augenbrauen hätte er überall wiedererkannt. Als er sie anlächelte, bemerkte er, daß sie knapp einen Kopf kleiner war als er. »Haben Sie mich nicht erkannt?«
»Weil Sie keine Uniform tragen«, entgegnete sie zögerlich. Anna versuchte sich zu einem Lächeln zu zwingen. »Aber eigentlich bin ich sehr froh, daß ich Ihnen noch einmal begegnet bin. Ich wollte mich noch für die Schokolade und die Wurst bedanken, die Sie mir im Zug {127} gegeben haben. Meine Familie hat sich über die Leckerbissen wirklich gefreut. Ich glaube, unser Weihnachtsmahl wäre ohne Ihr Geschenk recht karg ausgefallen.«
»Ich habe es Ihnen gerne gegeben.« Keppler lächelte sie weiter an und fühlte sich so frei wie lange nicht mehr. »Würden Sie heute abend bei mir essen?« erkundigte er sich hastig. »Bei meiner Großmutter?«
»Oh! …« Sie trat einen Schritt zurück. »Ich glaube nicht, daß das …«
»Bitte, vergessen Sie, daß ich deutscher Soldat bin. Ich weiß, daß es Ihnen schwerfällt, aber ich habe Urlaub und bin jetzt nur ein einfacher Bürger von Sofia. Immerhin bin ich hier zur Welt gekommen.«
»Unter der Woche esse ich gewöhnlich im Krankenhaus.«
»Bitte. Ich werde Sie abholen, wenn Ihre Arbeit zu Ende ist. Um wieviel Uhr?«
»Ich weiß wirklich nicht, ob …«
»Wieviel Uhr?« fragte er nun sanfter.
»Um acht.«
»Gut, genau hier also.«
»Einverstanden«, gab sie nach und neigte den Kopf zur Seite.
»Letztlich dürften wir ja sogar alte Freunde
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