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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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gelaufen, doch machte es ihm nichts aus. Er war hierher gekommen, um nachzudenken und einen Versuch zu unternehmen, seinem Gedächtnis durch Ablenkung auf die Sprünge zu helfen und ihm den quälenden Gedanken zu entreißen. Er blickte auf das Feuerwerk aus karmesinfarbenen, magentaroten und zitronengelben Farbtönen und bestaunte das tiefe Blau des Wassers. Genauso wie vor drei Jahren konnte er auch diesmal nicht umhin, das Genie, die Kunst, ja die Magie eines Walt Disney zu bewundern. Und als nach einigen Minuten die sieben Zwerge in einer Reihe und singend zu ihrem Häuschen zurückkehrten, da schossen ihm die Worte, die Piotr Wajda vor kurzem gesprochen hatte, plötzlich wieder durch den Kopf: »Ist eine Epidemie zu befürchten?«
    Jan Szukalski riß die Augen weit auf.
    »Ist eine Epidemie zu befürchten?«
    Eine Fleckfieberepidemie.
    Er starrte weiter auf die Leinwand, aber er sah weder die polnischen Untertitel noch gewahrte er die leuchtenden Farben oder die schwungvolle Musik. Statt dessen sah er den Hof der Wilks vor sich, der von den Deutschen wegen der ansteckenden Erkrankung gemieden wurde. Er hatte gesagt, daß sie Glück hätten, denn es sei besser, Fleckfieber zu haben, als ein Sklave des Reiches zu werden. Und da tauchte auch schon Hans Keppler vor seinem geistigen Auge auf, dem von deutschen Stellen selbst ein Freibrief ausgestellt wurde.
    Und plötzlich spürte Jan Szukalski, wie er, unkontrollierbar, innerlich zu beben begann.
    {122} »Das ist die Brücke, an die ich gedacht habe«, erklärte Brunek Matuszek und bezeichnete mit einem Stock einen Punkt auf der Rohskizze, die er in den Staub gemalt hatte. Vier Gesichter blickten auf die bezeichnete Stelle: Moisze Bromberg, Antek Wozniak, David Ryż und Leokadja Ciechowska.
    »Diese Brücke über die Weichsel gehört zu der Hauptbahnverbindung zwischen Krakau und Lublin. Wenn wir einen Munitionszug ausmachen, der aus Krakau kommt und im Depot von Sofia nicht entladen wird, oder wenn ein Zug in Sofia beladen wird und nach Norden losfährt, dann wissen wir, daß er nach Lublin unterwegs ist. Dann werden wir hier den Fluß überqueren.«
    David Ryż blickte gespannt auf die Skizze, die die Örtlichkeiten darstellte. Aber er kannte sich gut aus, denn da er ein Pferd besaß, hatte die Gruppe in den vergangenen zwei Jahren hauptsächlich ihn als Späher ausgeschickt. Und er kannte sich auch mit Zügen aus.
    »Wir werden jemanden benötigen, der das Depot von Sofia beobachtet und unser Ziel auskundschaftet. David?«
    Der Junge blickte auf. »Wollen Sie mir Befehle erteilen, Herr Hauptmann?«
    Brunek schüttelte geduldig den Kopf. »Ich erteile niemandem Befehle, David, und ich beanspruche auch keine Befehlsgewalt über dich oder andere. Bei diesem Plan müssen wir alle zusammenarbeiten, oder er wird scheitern.«
    »Ich werde das Depot beobachten«, sagte David und konzentrierte sich wieder auf die Karte. Er hätte sich gewünscht, dem kräftigen Polen mit mehr Sympathie begegnen zu können. Seine Hingabe an die Sache des Zionismus verhinderte aber, daß David den Goi in seinem Herzen als Freund betrachten konnte. Dennoch mußte er immerhin einräumen, daß Brunek die Gruppe endlich zum Handeln bewegte, worum er selbst sich lange Zeit vergeblich bemüht hatte. David sehnte sich endlich nach Taten. Er wollte das schnelle Erfolgserlebnis, den Sieg des Widerstands jetzt und sofort. Langfristige Pläne waren mit seiner Ungeduld nicht vereinbar. »Wenn wir das hier schaffen«, fuhr Brunek fort, »dann haben wir Gewehre und Munition im Überfluß.«
    »Und keinen, der damit umgehen kann«, entgegnete David.
    Nun mischte sich Moisze Bromberg ein: »Alles zu seiner Zeit, David. Zuerst die Waffen, dann, vielleicht, eine Armee.«
    {123} Davids Gesicht verfinsterte sich. Er war ungeduldig. Er wollte diese Armee, und zwar sofort. Und er wußte, wo er sie herbekommen würde.
    »Leider werden wir keine Gelegenheit zum Üben haben«, hörte er Brunek sagen. »Mit diesem einen Versuch müssen wir es schaffen, denn ich bezweifle sehr, daß es einen zweiten geben wird. Wenn wir uns nun die Brücke anschauen, die sich hier befindet«, er wies mit dem Stock auf die Stelle, »also genau unterhalb von Sandomierz, dann hält der Zug dort, während die Soldaten die Brücke betreten und sie auf Sprengstoff oder andere Sabotagevorbereitungen inspizieren. Sowohl im Zug als auch in der Lok und im Dienstabteil sind bewaffnete Männer, so daß alle Zugänge zum haltenden Zug genau

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