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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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nur eine Idee ist.«
    Inmitten des Dunstes, der aus der Kohlenpfanne aufstieg und sich im fahlen Licht der Sakristei mit den Geruchsspuren von Weihrauch vermischte, machte sich Jan Szukalski daran, in wenigen Worten die Möglichkeit einer Ausweitung des Experiments mit Keppler und des Vortäuschens einer Epidemie zu erläutern. Als der Doktor geendet hatte, blieb der Priester schweigend sitzen und betrachtete seine kräftigen Hände. Den Kopf leicht nach vorne gebeugt, schien er den Plan Szukalskis in allen Einzelheiten abzuwägen. Schließlich meinte er:
    »Jan, das ist zu riskant.«
    »Ich weiß.«
    {134} »Und dennoch haben Sie vor, es zu versuchen?«
    »Ich bin mir noch nicht sicher. Es hängt alles davon ab, welche Erfahrungen wir bei dem Versuch an Keppler machen werden. Ich bin nur deshalb jetzt mit dieser Angelegenheit zu Ihnen gekommen, weil Sie mir etwas sagen müssen. Etwas, was ich unbedingt wissen muß, bevor ich einen solchen Plan auch nur erwäge.«
    »Und das wäre?«
    »Werden Sie uns helfen?«
    »O Jan …« Piotr Wajda erhob sich langsam und richtete sich in seiner ganzen imponierenden Größe auf. »Jan, ich kann nicht. Es ist zu …, zu …«
    »Was, Herr Pfarrer?«
    »Sie sind ja noch nicht einmal sicher, ob Sie die Voraussetzungen schaffen können.«
    »Ich behaupte ja auch gar nicht, daß wir es schaffen. Alles, was ich von Ihnen wissen will, ist: Wollen Sie uns helfen?«
    Der Priester wich zurück und vergrub seine Hände tief in der Tasche seiner langen schwarzen Soutane. Szukalski sah, wie er die breiten Schultern unentschlossen auf und ab bewegte und schwer atmete.
    »Sie wissen doch genauso gut wie ich, was uns bevorsteht, Herr Pfarrer. Krüppel, Priester, Zigeuner: alles Untermenschen. Und was wird mit meinem kleinen Alex? Wenn er Glück hat, kommt er in den Lebensborn! Und meine liebe Frau? Schleppt man sie in die Gaskammern nach Oświęcim? Und was ist mit Ihren Meßdienern? Was wird die Gestapo mit ihnen anstellen, was mit Żaba? Gestern abend sagte ich Ihnen, daß die Wilks Glück haben, weil die Krankheit ihnen die Deutschen vom Hals hält. Besser Fleckfieber, als die Qualen erleiden zu müssen, deren Zeuge Keppler war. Und dann das Schicksal des Zigeuners! Wenn mein Versuch an Keppler gelingt, dann kann er auch an einer anderen Person erfolgreich sein. Und an vielen anderen auch, bis wir die Deutschen überzeugt haben, daß wir alle so verseucht sind, daß sie die Finger ganz von uns lassen!«
    Szukalski trat einen Schritt näher. »Pfarrer Wajda«, erklärte er langsam, »Maria Duszynska und ich sind gerade dabei, die Bakterien im Krankenhauslabor zu isolieren, und heute nacht werden wir uns an die Zubereitung der Kultur machen.«
    »Es kann nicht klappen, Jan!« rief der Priester.
    {135} »Warum denn nicht? Genau in diesem Augenblick gibt es in Polen auch andere Städte, die wegen Fleckfieber unter Quarantäne stehen. Nur daß es sich dabei um echte Fleckfieberfälle handelt. Ich bin verpflichtet, alle fleckfieberverdächtigen Blutproben an das von den Deutschen kontrollierte Zentrallabor in Warschau zu schicken, und wenn ich ein paar Proben dorthin …«
    »Nein, Jan.«
    »Warum nicht?«
    »Weil wir für das Leben dieser Stadt verantwortlich sind, Sie und ich. Wir können die Sache mit Keppler riskieren, weil Hoffnung besteht, daß nur wir bestraft werden, wenn wir scheitern und Dieter Schmidt alles herausfindet. Aber um Gottes willen, Jan, wenn wir die ganze Stadt in die Sache mit hineinziehen, dann wird das die Vernichtung von ganz Sofia zur Folge haben!«
    Jan Szukalski blickte zu Piotr Wajda auf und erwiderte dann: »Und was, glauben Sie, wird die Stadt für ein Schicksal erwarten, wenn die Deutschen herkommen, um ihre Endlösung durchzuführen?«
    Piotr Wajda zuckte zurück, als habe man ihm eine Ohrfeige gegeben. »Jan, ich weiß nicht, was ich darauf entgegnen soll.«
    »Ich werde Ihnen eins sagen: Wenn Keppler aufgrund meiner Impfung eine Verlängerung seines Urlaubs aus medizinischen Gründen ermöglicht wird, dann werde ich weitermachen und noch andere impfen. Alles, was ich weiß, ist, daß die Deutschen, wenn sie Keppler wegen dieser Krankheit in Ruhe lassen, auch andere in Ruhe lassen werden, und das ist ein Risiko wert. Sie sprechen vom Schicksal, Herr Pfarrer, welches Schicksal ziehen Sie denn eigentlich vor? Wollen Sie wie Insekten von den Deutschen vertilgt werden, oder nehmen Sie lieber das Risiko auf sich, als Partisan enttarnt und wie ein echter

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