Nachtzug
sich angewöhnt, sie wie einen gewöhnlichen Kameraden zu behandeln.
Und genauso wünschte sie es sich auch. Bis der Krieg vorbei war und sie ihren Mann wiederhatte.
Leokadja wandte ihren Blick von David ab und konzentrierte sich wieder auf die Gleise.
Matuszek, der vor Angst und Anspannung schwitzte, versuchte sich in dem engen Ölfaß nicht zu bewegen. Er mußte sich immer wieder an die drei Kanister mit Nitroglyzerin erinnern, die er bei sich hatte, denn er wußte, daß er durch eine plötzliche, unkontrollierte Bewegung die ganze Mission zerstören und sich selbst in einer Wolke aus Dampf und Staub auflösen würde. Das Warten kam ihm vor wie eine Ewigkeit, aber schließlich ließ sich das regelmäßige Stampfen des Zuges vernehmen, der sich aus der Ferne näherte.
Die Lokomotive und die zwanzig von ihr gezogenen Waggons hielten vor der Brücke an, und die Partisanen, die sich im Wald versteckt hatten, sahen, daß die Lok unmittelbar über Brunek Matuszek zum Stillstand gekommen war.
Brunek, der das knirschende Geräusch hörte, als die Soldaten mit ihren Stiefeln durch den Schnee zur Brücke stapften, hob vorsichtig den Deckel des Ölfasses an und schob ihn leise beiseite. Er betrachtete die Unterseite der Lok, deren massive Stößelstange und Feuerungsraum aus seinem Blickwinkel seltsam aussahen. Er inspizierte die riesige Radachse und hoffte, daß sie nicht zu dick für die Fahrradklammer war.
Die Soldaten gingen langsam über die Brücke und untersuchten sie sorgfältig auf mögliche Anzeichen von Sabotageversuchen, und während sie damit beschäftigt waren, wurden sie von zwanzig Augenpaaren beobachtet.
Nach zehn langen Minuten machten sie kehrt und gaben dem Lokomotivführer ein Zeichen, daß er losfahren könne. Er setzte etwas zurück, um die Kupplung lösen zu können, dann fuhr er vorwärts. Matuszek wartete ab, bis die rumpelnden Waggons gleichmäßig rollten. Schnell und geschickt nutzte er die knappe Zeit, die ihm zur Ver {155} fügung stand, um den Sprengstoff an der Lok anzubringen, bevor diese sich entfernte.
Die nächsten Kanister brachte er an einem großen Plattformwaggon an, der mit schwerer Artillerie beladen war, und den letzten an einem anderen Waggon am Ende des Zuges, der über seinen Kopf hinwegrumpelte. Nachdem er den letzten Spengstoffbehälter mit inzwischen geübter Hand befestigt hatte, verkroch er sich wieder ins Faß und schob den Deckel zurück. Dann kauerte er sich zusammen und wartete ab. Dabei rann ihm der Schweiß in Strömen übers Gesicht.
Von einer schwarzen Rauchwolke begleitet, die sie in die unberührte Wildnis ausstieß, ratterte die Lok über die Brücke und verließ die andere Seite. Nach einigen weiteren Sekunden, die sich zu Ewigkeiten zu dehnen schienen, brachten die gigantischen Räder der Lokomotive endlich den Gleisabschnitt zum Vibrieren, unter dem die erste Nitroglyzerinladung lag, und erschütterten die stoßempfindliche Flüssigkeit bis zur Detonationsschwelle.
Der Explosion unter dem Gleis folgte den Bruchteil einer Sekunde später eine weitere Explosion unter der Lok selbst, die dann wiederum die Ladungen unter den zwei anderen Waggons detonieren ließ. Funken sprühten, Wolken stiegen auf, Metallstücke flogen hoch durch die Luft – ein beeindruckendes Feuerwerk bot sich über der Winterlandschaft dar, bevor die Brücke an zwei Stellen zerbarst und sich ihre Mitte, die von keiner Konstruktion abgestützt wurde, bedenklich nach einer Seite neigte, um einen Augenblick später vollständig in sich zusammenzubrechen und den Zug samt Panzern und Waggons mit sich in die Tiefe zu reißen. Das Krachen und Bersten des Eises erfüllte den Wald mit einem ohrenbetäubenden Lärm, bis der Zug, halb im Wasser versunken, liegenblieb und wieder völlige Stille einkehrte.
Die Partisanen lösten sich jetzt rennend aus ihrer Deckung, feuerten auf alles, was sich bewegte, und töteten die Soldaten, die den Anschlag überlebt hatten und sich zu retten versuchten. Nach zehn Minuten waren alle Soldaten tot.
Brunek, der ein Gewehr über seinem Kopf schwenkte und seinen Kameraden Befehle zurief, führte den Trupp an, der zum Fluß hinabstieg und über das schneebedeckte Ufer auf die zerrissene Eisdecke des Flusses stürmte.
{156} Dann blieb er stehen, um eine Signalpistole abzuschießen und Edmund Dolata mitzuteilen, daß er die Wagen aus dem Versteck bringen sollte.
Die nächsten Minuten vergingen im Nu. Wie entfesselt plünderten die Männer den Zug aus, luden
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