Nackige Engel
noch aus der Hüfte in die Richtung, in der ich den Eindringling vermutete. Ein Schmerzensschrei ertönte, gefolgt von einem wüsten Huch. Ich hechtete kurz entschlossen zur Tür hinaus. Keinen Moment zu früh. Zwei Schüsse krachten, und Geschirr splitterte. Ich rollte mich zur Seite.
Gelobt seien das Projektmanagement und seine Weisheiten!
Als es gekracht hatte, war ich wieder ganz der Alte, meine Hand so ruhig, dass ich den dicksten Zwirn durch das engste Nadelöhr bekommen hätte. Ich linste nach drinnen. Mein prachtvoller Majolikakrug lag in Scherben. Es war unwahrscheinlich, dass der Eindringling mich so weit verfehlt hatte, er wollte offenbar Warnschüsse abgeben, um mich ihm vom Leib zu halten. Von drinnen hörte ich, dass sich jemand im Laufschritt davonmachte. Ich griff mir das Stück Pflasterstein, das neben mir lag, und rannte hinterher. Der Flüchtige riss Kleiderständer und Schuhschrank hinter sich um, um die Verfolgung zu behindern. Auch sonst fackelte er nicht lange und trat die Hintertür zum Hof krachend auf.
Ob ich mich in Gefahr begab, war mir scheißegal. Ich wollte den Kerl erwischen. Ein Furor trieb mich hinterher. Über Mäntel und Schuhe hinweg erreichte ich das Freie. Ich sah eine schlanke Gestalt, wahrscheinlich männlich, in unauffälliges Grau gekleidet, die sich in einem Klimmzug auf die Hofmauer geschwungen hatte und auf die andere Seite hinunter sprang. Diese Aktion wirkte leicht, der Mann athletisch, denn ohne Leiter hatte ich das bislang nicht geschafft.
Aber ich hatte Hirn. Nebenan gab es nur einen Ausgang, nämlich den zur Straße. Ich rannte wieder zurück. Trotzdem kam ich zu spät. Vielleicht hatte der Eindringling einen Helfer gehabt, der ihn im Wagen erwartete, jedenfalls sah ich einen schwarzen Van mit getönten Scheiben vorbeibrausen. Ich rechnete mir noch eine Chance aus und sprintete hinterher, weil er vorne an der Schmellerstraße anhalten musste. So war es. Er bog nach rechts ab. Das Einzige, was ich deutlich sehen konnte, war, dass das Nummernschild verhängt war. Wutentbrannt schleuderte ich meinen Steinbrocken hinter ihm her. Die Rückscheibe krachte und splitterte, der Wagen beschleunigte dennoch und bog mit quietschenden Reifen in die Tumblinger Straße ein. Und damit war er verschwunden.
37
Dieselhofer tigerte in meinem Laden auf und ab. Ich kannte diese Miene und hob abwehrend beide Hände.
– Bitte sagen Sie jetzt bloß nichts! Es deprimiert mich, verstehen Sie das?
Er war erstaunt, dann nickte er.
– Wir müssen natürlich noch auf das Labor warten, aber mein Riecher sagt mir, dass wir hier denselben Täter wie bei Wolfertshofer haben.
– Und das heißt?
Dieselhofer wurde grantig.
– Ja, Herrgott, jetzt sagen Sie doch schon, was der von Ihnen will.
Ich warf ihm die Bayerische Staatszeitung hin und tippte auf mein Inserat.
– Das da womöglich. Er möchte einen Mitwisser der Böhmerwaldloge ausschalten. Wolfertshofer hat vielleicht wirklich was spitzgekriegt, ich tu nur so. Aber das reicht. Eine andere Gemeinsamkeit gibt es nicht. Oder wissen Sie mehr?
Dieselhofer machte sich keine Mühe, sein Urteil in Höflichkeiten zu kleiden. Er zeigte mir den Vogel und pfiff wie der gleichnamige Jakob dazu.
– Gossec, Sie sind doch sonst ein vernünftiger Mensch.
– Haben Sie was Einleuchtenderes?
Dieselhofer zuckte die Achseln.
– Nicht wirklich. Nur Erfahrung. Meistens geht es doch um Geld. Und ein paar interessante Sachen haben wir da schon herausgefunden.
– Sagen Sie schon!
– Auf Wolfertshofers Konto sind große Summen hin- und hergeschoben worden. Im Endeffekt ist allerdings mehr abgegangen. Zu viel! Der Mann stand vor dem Offenbarungseid. Jetzt frage ich Sie: Was hat der mit seinem ganzen Geld gemacht?
– Keine Ahnung.
Dieselhofer fuhr den Zeigefinger aus und schnalzte mit der Zunge.
– Das ist der Punkt. Und da will ich mehr wissen. Nicht von dem anderen Schmarren.
Er schaute auf die Uhr. Dann zog er hastig den Reißverschluss seiner Dienstjacke nach oben.
– Ich muss zum Sport.
– Feierabend-Work-out?
Er verzog keine Miene und tippte mit zwei Fingern salutierend an seine Stirn. Dann verschwand er.
38
Am Vormittag des nächsten Tages beehrte endlich wieder einmal Kundschaft meinen Laden mit einem Besuch. Das Männlein im grauen Anzug mit freundlicher Ausstrahlung lehnte jedoch meine Hilfe ab und sagte, er wolle sich selbst bei mir umsehen. Sein Interesse galt Büchern und Zeitschriften. Jedes Stück nahm er in die Hand
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