Nackige Engel
und besah es so gründlich, als wollte er eine Handkartei für meinen Bestand erstellen. Ich kannte diesen Typ Sammler. Wie Goldwäscher sieben sie das ganze Sortiment durch, um dann schließlich mit einem zerfledderten Heftchen für einsfuffzig anzukommen. Enttäuscht wendete ich mich ab und widmete mich der Zeitung und meinem Kaffee. Gedanklich war ich jedoch ganz beim Telefon, ich gierte geradezu nach einem Anruf auf mein Inserat hin.
Nach einer halben Stunde hatte ich das Männlein fast vergessen, denn er hatte sich mit seiner unauffälligen Art so inventarisiert, dass man glauben mochte, er habe schon immer dazugehört. Zu meiner Überraschung bemerkte ich, dass er sich nun doch zu den größeren Stücken vorgekämpft hatte. Er sah die Ölgemälde durch. Schließlich grub er ein kurioses Stück aus, ein Wittelsbacher Erotikon, das den Prinzregenten Luitpold beim Baden in der Zipfelsbach-Gumpe zeigt. Der ansonsten unbekannt gebliebene Künstler hieß Lohmann und war mit Sicherheit dem republikanischen Lager zuzurechnen. Seinen antiroyalen Impetus mochte man auf den Nenner bringen, dass in der Gumpe alle so gleich waren, wie der Herr sie nach seinem Ebenbild geschaffen hatte.
Das graue Männlein stand mit dem Bild vor meiner Theke.
– Ernstel, mein Name.
– Was kann ich für dich tun, Ernstel?
Unter Schmerzen blickte er mich an und fingerte aus seiner Brusttasche eine Visitenkarte. Danach hatte ich es mit Hugo Ernstel aus der Kanzlei Landsdorfer und Partner zu tun.
– Das Bild könnte meinen Chef, Herrn Landsdorfer, interessieren.
– Meine Empfehlung an den Herrn Chef!
Ein weiteres Mal zerfurchte sich sein Gesicht peinvoll. Ernstel litt unter den fortwährenden Missverständnissen, die ihm die Welt zufügte.
– Sie könnten es ihm doch persönlich präsentieren. Ihr Schaden soll es nicht sein . . .
Er holte einen säuberlich gefalteten Hunderter aus dem Jackett und schob ihn über die Theke. Ich nahm ihn an mich und deutete auf die Karte.
– Unter dieser Adresse?
– Warum nicht gleich heute Nachmittag, fügte Herr Ernstel an.
Ich nickte.
– Vier Uhr? Auf ein Tässchen Kaffee . . .
Herr Ernstel reichte mir die Hand und ging genauso grau, wie er hereingekommen war.
39
Der Adresse nach, die Herr Ernstel mir gegeben hatte, lag Landsdorfers Kanzlei im Herzogpark. Die Bewohner dieses kleinen Viertels gäben viel darum, wenn ihr Wohnort von den Stadtplänen verschwände. Dort reibt man sich die Hände, wenn von Grünwald oder Bogenhausen als Reichenquartier die Rede ist. Hinter deren Ruf würde man sich gerne verstecken, um in der Freude an den eigenen Talerchen möglichst unbehelligt zu bleiben.
Gerne kleidet der Münchner seinen Reichtum in die folkloristische Architektur eines bäuerlichen Landhausstils. Man bemüht sich um Volksverbundenheit und vermeidet alle Anzeichen von Distanzierung. Reich ist man wohl, man könnte sich auch doppelt so viele Weißwürste wie andere auf den Tisch kommen lassen, aber der Herrgott hat dem Menschen eben nur einen Magen gegeben. Diese Botschaft schätzt der Münchner.
Die hanseatische Hausherrin in ihrer Alstervilla hingegen kann es sich leisten, noch im Unterrock dazustehen, wenn die Gäste klingeln. Die Besuchergruppe wird gut und gern zehn Minuten brauchen, bis sie sich, auf mäandernden Wegen und über zahlreiche Stufen, vom Gartentor zur Hauspforte hochgekämpft hat. Der Hitze treibende Angang hat den pädagogischen Sinn, die Grundbegriffe sozialer Distinktion wie oben, unten, groß und klein in einem Parcour erfahrbar zu machen, und bietet dazu, himmelwärts die strahlend weiße Villa der Gastgeber vor Augen, ausreichend Gelegenheit, sich in praktischer Demut zu üben.
Im Herzogpark jedoch haust so viel Geld, dass auch die Kulissen unserer bayerischen Komödienstadel-Architektur unzureichend geworden sind. Angst hat sich dort eingenistet; man stattete die Bauten daher so wehrhaft wie Bunkeranlagen aus. Würde Thomas Mann dort immer noch spazieren gehen, besäßen wir auf den Servern der Überwachungsfirmen ein vollständiges Videoprotokoll seiner Promenaden. Das Schönste, was sich über den Herzogpark sagen lässt, ist, dass er einen robusten, von jahreszeitlichen und konjunkturellen Schwankungen unbeeinflussten Arbeitsmarkt für Hauspersonal aller Art bietet. Ob es die dem Viertel innewohnende natürliche Tendenz oder einfach nur die Rache neiderfüllter Stadtplaner gewesen ist, lässt sich nicht mehr feststellen, aber die Nobelgegend hat, wie
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