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Nackige Engel

Nackige Engel

Titel: Nackige Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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gewachsen, die Form eines im Norden Münchens rechts der Isar liegenden Schweinelendchens angenommen.
    Als ich mit meinem alten Bus in das Sträßchen einfuhr, war mein Nummernschild vielleicht schon einem Sicherheitsscan unterzogen worden. Um Missverständnisse zu vermeiden, wäre es ratsam gewesen, das Führerhaus des Busses mit erhobenen Händen zu verlassen. Mit einem halb nackigen Prinzregenten unterm Arm war das allerdings nicht zu bewerkstelligen.
    Herr Ernstel öffnete die Tür, als ich klingelte. Hatte man von außen noch den Eindruck, dass das aus Stahlbeton gegossene Haus mindestens noch eine Klinik oder ein Hotel beherbergte, wurde man innen eines Besseren belehrt: Landsdorfer war Herr einer Großkanzlei, die das gesamte Anwesen beanspruchte.
    – Ich bringe Sie ins Wartezimmer, sagte Herr Ernstel.
    Der Gang war mit hellbraunen Steinplatten ausgestattet, in der Mitte waren weiche rote Läufer ausgelegt. Von Anfang an hechelte ich mit meinem Wirklichkeitsverständnis der Situation hinterher, die sich mir bot. Als hätte man eine Komparserie in Bewegung gesetzt, traten Frauen und Männer mit Akten unter dem Arm aus den Räumen, querten den Gang und schenkten mir und meiner Sauerei in Öl ostentativ keine Beachtung. Aber man war ja noch nicht so stumpf und dumpf, dass man die Zeichen nicht verstanden hätte: Jemand wie ich hatte hier nichts zu suchen. Ohne sich wehren zu können, rutschte man in Bedeutungslosigkeit ab, die allerdings in einem, wenn man ganz unten angekommen war, schon aus reinem Trotz den Drang weckte, sich hier doch noch als nützlich zu erweisen. Man hätte den Herrschaften ja eine kleine Brotzeit besorgen, vielleicht auch den einen oder anderen Bleistift spitzen oder Schuh putzen können, irgendetwas jedenfalls, das mir die reelle Chance bot, an das soziale Limit von uns Prekariatsbrüdern zu gehen und zu dem mir innewohnenden menschlichen Optimum eines guten Kerls vorzustoßen.
    Ich trottete hinter Ernstel her. Sofern ich nicht gerade mit dieser Umgebung haderte, staunte ich. Landsdorfer gehörte offenbar zu den Menschen, die lebenslang Auszeichnungen und Urkunden bekamen. Vom goldenen Kochlöffel beim Topfschlagen über das Ehrenpaddel des Kanuclubs bis zum Talar des Fellows war alles aufgeboten und in Vitrinen und Rahmen präsentiert, was er eingeheimst hatte. Auf kleinerem Raum in Kisten arrangiert, hätte unsereiner damit einen schwunghaften Trödelhandel betreiben können. Ernstel geleitete mich in einen Raum, dessen Wände eine Unzahl gerahmter Fotografien schmückte.
    – Er kommt gleich.
    Ernstel hob grüßend die Hand und verschwand. Ich stellte das Bild ab und stand von nun an ziemlich dumm herum. Wenn man alleine war, fiel das niemandem auf, aber von ihrem Edelholztresen aus hatte mich eine Empfangsdame ständig im Blick. Man möchte seine Präsenz rechtfertigen, bemüht sich um Haltung und gerät unwillkürlich in eine schräge Nummer mit dem Titel: Ich weiß nicht wohin mit den verdammten Händen! Die Arme vorne auf der Brust verschränkt zu halten, wirkte zu herrisch, Hände in den Hosentaschen kamen zu schlampig rüber, an der Hosennaht zu militärisch, nach hinten genommen zu sehr als Herrenreiterpose. Außerdem war man nicht Thomas Mann und hatte zudem die Schweinslederhandschuhe vergessen. Die Gorillastellung, wie sie Männer gerne im Sitzen einnehmen: bequem zurücklehnen, Hände als Kopfstütze hinter den Hals legen, verbot ich mir schon im Ansatz.
    – Kann ich helfen?
    Sicher hatte sie meine Unsicherheit bemerkt und stand nun in der Tür.
    – Tasse Kaffee vielleicht?
    Ich wischte mit meinen Händen an der Hose herum, als wären sie fettig oder feucht. Wenn ich etwas wirklich gebraucht hätte, dann einen Schraubenschüssel oder irgendein anderes großes Teil, das dank seiner Funktion die Frage erübrigte, wer man sei und was man hier tue.
    – Bitte.
    Sie lächelte.
    – Vielleicht möchten Sie da mal reinsehen?
    In der Ecke stand ein Pult so altdeutsch-barock, wie es Faust schon in seiner Studierstube stehen hatte. Obenauf war ein in schwarzes Leder gebundenes Buch ausgelegt. Hier eintragen! lautete der klare Hinweis dazu. In einem beigegebenen Informationsblatt, für das eine beeindruckende Reihe hochkarätiger Persönlichkeiten verantwortlich zeichnete, wurde gefordert, Franz Josef Strauß nun endlich in die Walhalla aufzunehmen. Keine Frage, wenn er sich dort noch nicht aufhielt, war etwas gründlich schiefgelaufen. Nach unserer Väter Sitte, die noch in den

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