Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nackige Engel

Nackige Engel

Titel: Nackige Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
Vom Netzwerk:
Wälder hausten, waren es die Walküren, die tapfere Recken vom Schlachtfeld weg in Odins Burg Walhall brachten. Deren Aufgabe hat nun der Bayerische Ministerrat übernommen, und er entscheidet mit einfacher Mehrheit über Neuaufnahmen. Auch Odins Sitz ist über Jahre kultivierter geworden und blickt nun als griechisches Tempelimitat von seinem Hügel in Donaustauf auf den Fluss hinunter. Drinnen werden auch nicht mehr Bier und Met, sondern Prospekte gereicht.
    Endlich betrat Landsdorfer den Raum, und ich war erlöst. Wir gaben uns die Hand. Sein grauer Rundschädel war kurz geschoren, und der seltsamerweise schwarz gebliebene Schnauzer überwölbte seine Oberlippe so prachtvoll buschig wie das Original von Nietzsche. Er packte entschlossen zu. Irgendwo in den Alpen musste es gelungen sein, original bayerische Kaschmirziegen zu züchten, anders war die samtige Anmutung seines Lodenjankers nicht zu erklären. Ich wollte gleich das Bild vor ihn hinstellen, um die Sache zu Ende bringen. Er machte jedoch keine Anstalten, sich dafür zu interessieren.
    – Die Leute von der Handelskammer sind jetzt da.
    Jeder Widerspruch war von vornherein abschlägig beschieden. Hände an der Hosennaht wäre nun doch angebracht gewesen. Er deutete mit dem Finger auf mich.
    – Sie warten aber, bitte schön! Ich muss mit Ihnen reden.
    Man zuckte in solchen Fällen die Achseln und beugte sich höherer Fügung, weil die sowieso alles besser wusste.
    Er machte sich nicht einmal die Mühe, die Tür zu schließen, und ich stand wieder allein im Wartezimmer. Die nette Dame kam herein und brachte den Kaffee. Schon nach einer Weile war ich wieder beschäftigungslos und begann im Raum herumzuschlendern, um mir die Fotos an der Wand anzugucken. Landsdorfer vor dem Parlament, mit Oma, mit vollem Haupthaar, in Badehosen, vom Balkon des Münchner Rathauses winkend. Kaum einen der anderen Abgebildeten kannte ich, wichtig waren sie sicher alle. Einen jedoch glaubte ich deutlich ausmachen zu können, auch wenn der massige Schädel nur von hinten ins Bild gesetzt war: Franz Josef Strauß an einem lang gezogenen Restauranttisch. Ihm gegenüber der noch jung wirkende Landsdorfer, der das Bierglas hebt. Ich nahm das Bild herunter, um es genauer zu studieren. Als ich es umdrehte und die Widmung las, fuhr mir ein heftiger Schreck in alle Glieder. Lang lebe die Böhmerwaldloge, stand da. Ad multos annos. Die Unterschrift war unleserlich, weil sie von einem weißen Band überklebt war. Zittrig hängte ich das Bild zurück. Unfähig zu jeder Reaktion stand ich da, innerlich jedoch fast berstend vor Aufregung.
    Ich war in eine Falle gelaufen.
    Dann gab ich mir einen Ruck. Zunächst schloss ich die Tür, nahm dann die Fotografie an mich und hängte an die frei gewordene Stelle eine andere aus einer größeren Gruppe von Bildern, die bis fast an die Decke hinaufreichten. Bei der hier ausgestellten Menge würde das nicht sofort zu bemerken sein, es sei denn, man suchte gezielt das Böhmerwaldfoto.
    Ich streckte den Kopf nach draußen. Glücklicherweise war der Platz hinter der Empfangstheke leer. Ansonsten liefen geschäftige Menschen hin und her, alles wie gehabt. Ich packte meinen Prinzregenten unter den Arm und ging, ostentativ unbeachtet wie zuvor, meiner Wege. Für die Kamera machte ich auch draußen vor der Tür den gemächlichen Abgang. Ein Gefühl, als sei ich endlich wieder zu Hause angekommen, erfasste mich, als ich das Führerhaus meines Busses bestieg. Unter strikter Einhaltung der Straßenverkehrsordnung verließ ich das Schweinelendchen-Viertel.

40
    Abends ging ich mit dem Foto zu Julius, um es genauer zu untersuchen. Vielleicht konnte man etwas über den Ort des Treffens herausfinden. Mit Julius’ Vergrößerungsglas war dem Bild nicht beizukommen, also fertigte er einen Scan in hoher Auflösung und skalierte ihn auf dem Bildschirm hoch. Man erkannte nun Manschetten, Hosenträger und Leberflecke, aber für eine Ortsbestimmung ergab sich kein Anhaltspunkt. Auch sonst ließ sich kaum etwas feststellen, außer eben, dass es sich um ein Lokal mit schwerer Holzmöblierung und Deckentäfelung handelte. Schließlich machte Julius ein Gemälde im Hintergrund aus, das einen grauen Ritter zu Pferd zeigte. Das weitere Hochzoomen nützte jedoch nichts mehr, der Bildzusammenhang splitterte sich in grobe Pixel auf.
    – Ich habe das schon mal gesehen!
    Julius zermarterte sich vergeblich das Hirn. Ein Gespräch kam auch nicht mehr zustande, denn okkupiert von

Weitere Kostenlose Bücher