Nackige Engel
seiner Grübelei legte er den Kopf schief oder starrte nach oben ins Leere. Ich gab ihm einen Klaps auf die Schulter, bedankte mich und ging.
Der nächste Morgen begann mit guten Nachrichten. Die Zeitung meldete im Münchner Teil einen Skandal um die Prinz-Rupprecht-Halle. Die in mir hochprickelnde Häme gönnte ich mir gern zum Espresso. Wie sehr hatte man Stan Bolzmann und seine Projekte gehätschelt, was immer er anfasste, wurde mit positiver Berichterstattung wattiert. Doch diesmal hatte es sogar einen alten Profi wie ihn erwischt. Offenbar war er schwer in die Falle getappt. Dass die Prinz-Rupprecht-Halle verkauft werden sollte, hatte ich bereits gelesen. Nun aber entpuppte sich das Käuferkonsortium als eine Gruppe aus der rechten Szene, die aus der Halle ein Sport- und Kulturzentrum machen wollte. Was das hieß, konnte man sich an fünf Fingern abzählen. Eine Bürgerinitiative hatte sich bereits gebildet, die gegen die Nutzung als paramilitärische Ausbildungsstätte zu Felde zog. Die Stadt wurde zum Handeln aufgefordert. Flankierend waren Bestrebungen im Gange, Investoren oder Spender zu finden, die das nötige Geld zum Erwerb des Areals aufbringen konnten. Hallenkönig Bolzmann, so hieß es, sei von der Gruppe hereingelegt worden. Er habe in Unkenntnis ihrer wahren Identität einen Vorvertrag abgeschlossen. Er wolle jedoch alles tun, um den entstandenen Schaden zu begrenzen. Er zeige sich bereit, die wegen eines Bruchs des Vorvertrages drohende Konventionalstrafe auf die eigene Kappe zu nehmen, wenn sich ein Investor finde, der ihn ansonsten schadlos halte.
Das klang alles so gewunden und verschämt, so gänzlich ohne den großsprecherischen Bolzmann-Sound, dass ich ihn vor meinem inneren Auge in dem Format sah, das ihm gebührte: als Würstchen.
Das Telefon schreckte mich aus meinem inneren Triumphzügen auf. Julius war am Apparat.
– Ich hab’s!
Ich lobte ihn und bettelte um Auskunft, um ihn ausreichend zu ehren, wie sich das gehörte.
– Zum goldenen Prag!
– Verstehe ich nicht.
– Auf dem Gemälde ist St. Wenzel, verstehst du, das Denkmal von ihm in Prag. Und das kenne ich. Zum goldenen Prag, ist am Oberanger, beste Innenstadtlage und böhmische Küche. Ich habe da schon gegessen. Was machen wir?
– Hingehen natürlich!
41
Ein K.u.k.-Kellner wie aus dem Bilderbuch, mit schwarzer Fliege und weißem Serviertuch, geleitete uns an den Tisch. Sein museales Böhmisch konnte er nur in Hans-Moser-Filmen gelernt haben. Um ein deutliches Signal Richtung Küche zu geben und Fragen schon im Ansatz zu rechtfertigen, legte ich neben die Speisenkarte mein schwarzes Notizbuch, als wäre ich damit beschäftigt, die Gerichte zu exzerpieren. Das Lokal bot tschechische Biere und die ganze Palette knödelumkränzter Fleischgerichte, zu denen Rahmsoße so oft nachbestellt werden kann, bis es einem den Leib zur prallen Kugel auftreibt. Während die Prager Ente sich als Variation von Bekanntem präsentierte, nahm man mit der Bestellung eines gespickten Ochsenmeisls an den Mysterien einer fremden Kultur teil.
Den Kellner, der uns aus der Knödelschüssel und dem Soßentopf auftat, fragte ich nach der Geschichte des Lokals. Man sei ein Traditionshaus und immer schon an diesem Ort hier, sagte er. Vor einigen Jahren allerdings habe der ehemalige Pächter aus Altersgründen an einen anderen Wirt weitergeben müssen. Seither firmiere man nicht mehr als Restaurant Böhmerwald, sondern als Goldenes Prag.
Julius grinste zu mir herüber. Ich wusste, warum: Wir waren nicht in das Herz einer Verschwörung vorgestoßen, vielmehr schien sich die banalste aller möglichen Erklärungen herauszuschälen. Am liebsten hätte ich mich kopfüber in den Soßensee gestürzt.
Nachdem wir aus purer Fressgier auch noch Palatschinken in uns hineingedrückt hatten, bat ich Julius, den Kellner ein wenig am Tisch zu beschäftigen. Zwischen Theke und Garderobe in einer Nische lag auf einem Pult das Reservierungsbuch neben dem Telefon. Von dort aus hatte ich den Kellner im Blick, der mir den Rücken zuwendete und im Reden mit seinem Serviertuch Brösel vom Tisch schlug. Julius machte seine Sache gut, und ich hatte Gelegenheit, mich mit dem Buch zu beschäftigen. Ich blätterte es in der Hoffnung durch, auf einen bekannten Namen zu stoßen. Lange musste ich nicht suchen: Jeden ersten Donnerstag im Monat war das Nebenzimmer für die Böhmerwaldloge bestellt. Offener ging es nicht mehr, geheim war an dieser Loge gar nichts.
Rasch ging ich
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