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Nackige Engel

Nackige Engel

Titel: Nackige Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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um ihn zu Kräutersüppchen oder Pesto zu verarbeiten. Der gut katholische, an der Vanitas geschulte Mensch gedachte dabei nicht selten der im Südfriedhof unter der Erde liegenden Münchner Prominenz, von Fraunhofer über Spitzweg bis Pschorr, die mit ihren sterblichen Überresten nicht wenig zum Wohlgeschmack des Krauts beitrugen und die nun, vom Menschen zur Pflanze gewandelt, ein weiteres Mal in den Kreislauf alles Irdischen eintraten.
    In dieser besinnlichen Atmosphäre, die auch einen auf das rein Praktische hin orientierten Menschen wie mich zu einem gewissen gedanklichen Tiefgang verleitete, versuchte ich mich zum Kern des Wesentlichen vorzuarbeiten. Aber so oft ich auch durchsiebte, was mir heute widerfahren war, zu mehr als der sokratischen Weisheit, nach der ich nur wissen konnte, dass ich nichts wusste, reichte es nicht. Genau genommen hatte sich dieses Nichts zu einem gefräßigen Schlund entwickelt, in dem auch alltägliche Gewissheiten wie die, dass Menschen einen Namen tragen, verschwanden. Gab es überhaupt einen Fritz Eyerkauff?
    Wie schön, dass es wenigstens noch meinen Laden gibt, dachte ich, den mir so vertrauten Anblick vor Augen.
    Aber bald schon musste ich erkennen, dass auch dort nichts mehr war wie zuvor. Ich sperrte ihn auf und sah sofort, dass jemand eingebrochen hatte. Die Schubladen waren ausgekippt worden, und der Boden war mit Papier übersät. Angstvoll überprüfte ich zunächst, was von meinen wirklichen Wertstücken hatte dran glauben müssen. Kurz danach geriet ich ins Grübeln. Soweit ich sehen konnte, fehlte nichts: Silberbesteck und Goldschmuck waren unangetastet geblieben, sogar der echte Wölfel stand noch bei den Ölbildern vorneweg. Entweder war ich von einem besonders wählerischen oder einem stockdummen Einbrecher heimgesucht worden. Er hatte meine Schubladen durchwühlt und alles für ihn Unbrauchbare achtlos zu Boden geworfen. Als ich feststellte, dass ihn sogar meine Handkasse kaltgelassen hatte, war alles klar: Hier hatte jemand systematisch gesucht. Vermutlich genau jener Eindringling, der mich neulich schon aufgesucht hatte.
    Aber was wollte er?
    Ich räumte alles nach und nach wieder ein, ohne darauf zu kommen, was geraubt worden war. Wenn etwas fehlte, dann war es für mich so unwichtig, dass ich es offenbar längst vergessen hatte.
    Erst als ich in der wieder aufgeräumten Bude mit einem Kaffee auf meiner Chaiselongue saß und vor mich hinbrütete, fiel mein Blick auf die Pinnwand. Zu sagen, dass ich dort etwas vermisste, war übertrieben. Das gewohnte Bild war einfach unvollständig. Ich hatte die Autogrammkarte mit Wolfertshofers Porträt neben meinen Fotos befestigt. Dort hatte sie sich so in die Bilder- und Zettelumgebung eingefügt, dass ich neulich sogar vergessen hatte, sie Emma mitzugeben, für die sie bestimmt war. Und nun war sie weg. Das war doch nicht möglich, dass sich jemand die Mühe gemacht hatte, deshalb meinen ganzen Laden auf den Kopf zu stellen!
    Ich rief Emma an, um ihr von diesem Verlust zu berichten.
    – Gut, dass du dich meldest, sagte sie, ich wollte dich ohnehin anrufen.
    Sie stockte. Ich hatte sofort ein verdammt schlechtes Gefühl. Und schon kam es knüppeldick.
    – Ich habe einen Termin bei Stan. Pippo hat mich darum gebeten, er meint, das könnte ein ziemlich guter Kontakt für uns werden.
    Sie wartete auf eine Reaktion, weil sie um meine eifersüchtige Reizbarkeit wusste. Die aber würde sie jetzt nicht bekommen, denn mein verletzliches Inneres, das zu seinem Schutz nicht mehr aufzubieten hat als die zartrosige Haut eines Babypopos, hatte die Flucht angetreten und fuhr geradewegs in den Stollen hinunter, wo ich für solche Empfindsamkeiten einen Schutzraum aus atomsicherem Stahlbeton eingerichtet habe. Dort würde es frieren und beleidigt schweigen.
    – Ich hoffe, du bist mir nicht böse.
    Ich schmiss den Hörer ohne weiteres Wort auf die Gabel.
    Der Nachmittag wollte nicht vergehen. Ich trieb die Zeit mit ihren sonst so wuseligen Minuten wie eine Herde lahmer Gäule vor mir her. Zu guter Letzt durfte ich den Laden zusperren.
    Es kostete mich eine ungeheure Überwindung, nun nicht mit einem Brecheisen das Kellerabteil mit meinen Alkoholika zu knacken, um mir endlich die Hucke vollsaufen zu können. Das hatte ich nun von diesen ausdauernden Übungen! Mein moralisches Ich gab inzwischen eine imponierendere Figur ab als sein Herr und Meister: komplett austrainiert, jeder Muskel definiert, hart und sehnig. Dieser herkulische Kerl

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