Nackige Engel
Denkerpose.
– Denk mal nach.
Ich zuckte die Achseln.
– Ich gebe auf! Du weißt doch, dass ich in Kreuzworträtseln schon immer schlecht war. Also, wer ist es?
Julius fuhr seinen Zeigefinger aus.
– Der Tod!
Ich schnitt ein verquältes Gesicht.
– Willst du mich jetzt erschrecken? Hast du auch was Aufmuntemdes auf Lager, oder müssen wir weiter Geisterbahn spielen?
Julius war sofort beleidigt. Was er aus der Tiefe seiner Gedanken schöpfte, hatte man als große Kostbarkeit wertzuschätzen.
– Witze kannst du dir von anderen erzählen lassen. Ich dachte, deine schlechte Verfassung wäre ja auch . . .
Ich unterbrach ihn.
– Lass gut sein. Und vielen Dank für die Hörnchen.
Julius stand auf. Auf seinem Weg zur Ladentür kam er an meinem Anrufbeantworter vorbei.
– Da blinkt etwas, sagte er und hob die Hand zum Abschied.
Das war neben den Nusshörnchen die mit Abstand beste Hilfestellung, die er mir geben konnte. Emma war mit einer kurzen Nachricht gespeichert. Sie könne Geschäft und Liebe sehr gut auseinanderhalten, da solle ich mir mal keine Sorgen machen. Dann trat eine kurze Pause ein.
– Hab dich nicht so, du Eifersuchtsnickel.
Ich schickte ihr eine SMS, in der ich mich für meinen Ausraster entschuldigte.
46
Später fuhr ich mit dem Rad zum Nockherberg, der Fortsetzung jener Hangkante des Isarhochufers, die ein wenig nördlicher unter der Bezeichnung Giesinger Berg läuft. Dort oben erhebt sich der Festsaal, in dem alljährlich der Starkbieranstich stattfindet. Vor gut zehn Jahren wurde der alte, aus allen Nähten platzende Bierkeller niedergebrannt. Das neue, prachtvolle Haus legt beredtes Zeugnis von einem Münchner Wunder ab, nach dem Brandstiftung auch ohne Täterbeteiligung verübt werden kann.
Eine ähnliche Lenkung von ganz oben erkennt man auch in anderen verbrieften, mit dem bloßen Verstand nicht zu durchdringenden Besonderheiten, die allenfalls mit dem biblischen Vorbild der Armenspeisung zu fassen sind, wonach aus einem Hektoliterfass Bier gut hundertdreißig Maß fließen können und einem Brathendl drei halbe entspringen. Für die Kanonisierung sind solche Zeugnisse unerlässlich, und sie haben uns auf dem Weg zu einem St. München ein ganzes Stück vorwärts gebracht.
Im Festsaal wurde emsig an den Kulissen gehämmert und gewerkt. Ich fragte einen Kellner, der schon vormittags hektisch rote Bäckchen hatte, nach Alfons Brummer.
– Fonsi, schrie er in den Saal hinein, er wäre jetzt da.
Aus dem Sperrholzverschlag kam ein baumlanger Kerl in brauner Kutte. Der würdige Mönchsgang war ihm noch nicht gegeben; was er da ablieferte, erinnerte mehr an Sackhüpfen. Unwillig schlenkerte er seine Beine so heftig nach vorne, dass man fürchten musste, er werde sich in dem groben Tuch verfangen und umfallen.
– Servus, Brummer mein Name, sagte er. Es hat geheißen, ich soll mit dir reden.
Er gab mir zwar die Hand, wirkte aber so unwirsch, dass ich meine ganze Freundlichkeit aufbot, um ihn ein wenig gnädiger zu stimmen.
– Bitte schön. Ich will ja nicht viele Umstände machen.
– Dann setzen wir uns.
Wir nahmen den nächstliegenden Tisch. Er hob seine schwarze Zottelperücke mit Tonsur vom Kopf und warf sie auf den Stuhl daneben.
– Kriegen wir etwas zu essen?
Ich verstand nicht, was er meinte, und zuckte die Achseln. Seine Miene verfinsterte aber dergestalt, dass ich mich gleich zurücknahm.
– Bitte, sagte ich, warum denn nicht?
Er bestellte eine Schüssel mit Weißwürsten, Brezen und Bier. Bleifrei, wie er nicht ohne eine gewisse Verachtung anmerkte.
– Das echte kriegen wir ja erst abends.
Auch dafür konnte ich nicht wirklich etwas.
Er tunkte seine Weißwurst in den Senf, den er sich ordentlich auf den Teller geladen hatte, und biss hinein. Hinterher schob er gleich Breze nach, um den Geschmack von Wurst, Würze und Gebäck kauend im Mund zu vermählen. Die gespannte Haut der prall gefüllten Backentaschen buchtete sich zu einer Art Relief aus, in dem die erst grob zerkleinerten Brezenstücke hervorstachen. Erst nach und nach wurde daraus ein weicher Knödel, der von links nach rechts wanderte. Mit seinem schmalen, lang gezogenen Schädel sah er aus wie ein klerikales Bräuross, dem man ein zweites Frühstück vorgesetzt hatte. Er spülte mit Bier nach. Zwei Weißwürste lang ließ er mich warten, ganz mit sich und seinen Gelüsten beschäftigt.
– Also gut, hub er schließlich an, ich erzähle dir erst mal, wie es läuft. Und dann schauen wir weiter,
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