Nackt schlafen ist bio
Produkt, das ich als nächste Öko-Maßnahme ausprobieren kann. So stammen mein kompostierbarer Kuli, mein Fotoalbum aus Recycling-Materialien und die kompostierbare Grußkarte von hier.
Beim Rumstöbern in den Regalen fiel mein Blick auf eine Seifenschale, die aus benutzten Essstäbchen gefertigt worden war, indem man diese der Länge nach verschränkt hatte wie die Finger zweier Menschen, die Händchen hielten. Da man sie auch schön kompakt zusammenlegen konnte, war sie reisetauglich und eignete sich damit bestens als Gegengeschenk für Jacob, zumal er zu den Menschen zählt, die sich vor dem Essen immer die Hände waschen, aber nicht darauf achten, die Seife so aufzubewahren, dass sie nicht schmierig wird. Und es war ebenfalls als ein weiterer Öko-Schritt geeignet, falls ich auch eine für mich ergattern konnte, denn bisher hatte ich nichts dergleichen. Und so kaufte ich zwei.
Allerdings war Seife – und ihre Ablage (egal, wie umweltfreundlich) – zurzeit, ehrlich gesagt, kein Problem, das auf meiner Prioritätenliste sonderlich weit oben stand. Denn in nur zwei Tagen würde Jacob wieder in den Nahen Osten aufbrechen, und ich stellte plötzlich fest, dass mir jede Minute kostbar war, die uns noch bis zu seinem Abschied blieb.
Wir hatten an Silvester reichlich Zeit damit verbracht, uns auf dem Sofa aneinanderzukuscheln, während wir den Kurzgeschichten lauschten, die von den anderen vorgetragen wurden. Als Ian und Dimitris und ich dann beschlossen, dort zu übernachten, und sich die beiden in die Gästezimmer verzogen, blieb mir die Wahl zwischen Couch, Keller und Jacobs Bett. Mit einem alten Pyjama seiner Schwester über dem Arm – in diesem Haus konnte ich keinesfalls irgendwo nackt schlafen – stand ich in seinem Zimmer, biss mir auf die Lippen, sah aus dem Fenster und entschied mich fürs Bett.
Und so geschah es, dass um drei Uhr morgens am ersten Tag des neuen Jahres der Mensch, mit dem ich seit fünfzehn Jahren befreundet war, und ich, einander zugewandt und den Atem des anderen im Gesicht, zusammen im Bett lagen. Ich kann mich allerdings nur noch an drei Dinge erinnern: 1) wir sprachen über Glück, 2) er schob mir immer wieder eine Haarsträhne hinters Ohr, 3) ich war so nervös, dass ich die ganze Zeit die Augen geschlossen hielt.
Nichts passierte. Es kam nicht einmal zu einem Kuss. Ich hatte keine Ahnung, ob er das überhaupt gewollt hätte oder nur auf platonisch-freundliche Weise zärtlich zu mir war. Aber schon allein die Aussicht, etwas zu tun, was ich bereuen würde – mit einer lächerlichen, betrunkenen Nummer eine Freundschaft zerstören, die mir mehr als alles andere bedeutete –, versetzte mich in unerträgliche Panik. Also hielt ich die Augen so fest geschlossen, als drohe mir ein Schicksal schlimmer als der Tod, wenn ich sie öffnete, und irgendwann nahm die Müdigkeit überhand, und wir schliefen beide ein.
Am nächsten Morgen klopfte Dimitris zaghaft an die Tür, schlurfte ins Zimmer, setzte sich an Jacobs alten Computer und startete das Free-Rice-Spiel, sodass wir zu sporadisch geäußerten Rufen wie »Konsterniert!«, »Maliziös!« und »Kardinaltugend!« erwachten. Gemeinsam waren wir stark, mit unseren kombinierten Wortschatzkenntnissen schafften wir es bis zu Level 49, sodass wir noch vor dem Aufstehen 3 200 Reiskörner für das Ernährungsprogramm der Vereinten Nationen erspielten.
Eine halbe Stunde später stolperte Ian herein, gestand, dass er einen höllischen Kater hatte, und fragte, ob ich einen Kaugummi hätte, damit er den Geschmack von schalem Bier im Mund loswurde. Ich bedauerte, ihm keinen geben zu können, stand aber auf, kramte in meiner Tasche und gab ihm schließlich mein Mundwasser.
»Was ist das?«, fragte er triefäugig.
»Vita-Myr, ein natürliches Mundwasser«, erwiderte ich. »Es ist alkoholfrei, für dich im Augenblick also genau das Richtige, und besteht unter anderem aus ätherischen Ölen wie Nelke, glaube ich, und natürlich Myrrhe.«
» Myrrhe? Du hast ein Mundwasser aus Myrrhe? Wie in …«
»Weihrauch und Myrrhe, ja, also was die Drei Könige nach Bethlehem mitgebracht haben«, sagte ich. »Probier’s einfach. Wenn es für das Jesuskind gut genug war, dann wird es auch gut genug für dich sein.«
Ian verschwand im Bad und schoss zehn Sekunden später wieder heraus.
»Das Zeug ist widerlich!«, rief er und warf mir das Fläschchen mit verzerrtem Gesicht und kopfschüttelnd aufs Bett. »Ich meine, weißt du eigentlich, wie lächerlich
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