Nackt schlafen ist bio
zurückgehen und die besonders wichtigen Stellen in den mit Textmarker hervorgehobenen Abschnitten, die prüfungsrelevant sein könnten, zusätzlich unterstreichen. Ich war nicht so analfixiert, dass ich die Textstellen nach einem bestimmten Farbschema markierte, aber ich wechselte gern zwischen klassischem Gelb für Lehrbücher und lebhafterem Grün, Rosa oder Orange für Romane. Allerdings niemals Blau.
Der springende Punkt ist: Ich liebe Textmarker. Obwohl Schule und Universität längst hinter mir liegen, habe ich immer noch das zwanghafte Bedürfnis, diese bunten Leuchtstifte zu benutzen. Wie andere Leute in der einen Hand einen Drink und in der anderen eine Zigarette haben müssen, so halte ich gern in einer Hand ein Buch und in der anderen den Textmarker. Aber von heute an wird das anders. Ich habe mir überlegt, dass ich ja ein Eselsohr in die Seite knicken oder vielleicht auch den einen oder anderen Satz mit meinem biologisch abbaubaren Kuli unterstreichen kann, wenn ich eine Passage lese, die ich mir merken oder später wiederfinden will.
Vermutlich werde ich in den kommenden Monaten viel lesen, denn Ian und ich sind inzwischen in New York eingetroffen, und während er sich in einem Musikladen umschauen will, bin ich zum Strand Bookstore am Broadway gegangen und spüre nun die berauschende Wirkung der »18 Meilen Bücher«, mit denen Strand wirbt – gebrauchte Bücher, wohlgemerkt! Ich kann eine sehr ordentlich gebundene Ausgabe von Anna Karenina für gerade mal zwölf Dollar erstehen, Die Brüder Karamasow für fünf Dollar, Middlemarch für acht Dollar. Der Traum eines jeden umweltbewussten Bücherwurms und jedes bücherliebenden Öko-Freaks.
Der Dank dafür gebührt No Impact Man. Nachdem wir uns um die Ecke auf einen Kaffee verabredet hatten, schlug er mir vor, diesen Buchladen aufzusuchen. Ganz offensichtlich konnte ich doch nicht den weiten Weg nach New York machen, ohne meinen Konkur… – ich meine, meinen Öko-Blog-Kollegen zu treffen. Colin hatte zu diesem Zeitpunkt sein eigenes Vorhaben bereits abgeschlossen und war recht guter Dinge. Hollywood-Produzenten hatten die Filmrechte für sein demnächst erscheinendes Buch gekauft, nun gab er eifrig Fernsehinterviews. Den Vertrag für einen Dokumentarfilm über sein Projekt hatte er ebenfalls unter Dach und Fach. Tja, das war der Unterschied zwischen Colin und mir: Bei seinem Öko-Ding ging es eben auch ums Geschäft, es war sein Hauptberuf. Ich wiederum verdiente nach wie vor mein Geld mit Artikeln etwa darüber, ob Patrick Dempseys neueste romantische Komödie wirklich so schrecklich war, wie die Previews befürchten ließen, während ich mir parallel dazu mehr als 300 umweltfreundliche Schritte ausdachte und sie umzusetzen versuchte. Eine gewisse Eifersucht meinerseits kann ich da nicht verhehlen.
Andererseits bin ich wirklich schwer beeindruckt davon, wie kompromisslos er das alles durchgezogen hat, auch und gerade mit Blick auf seine Frau und seine Tochter. Und ich freute mich sehr, ihn persönlich kennenzulernen, und sei es nur, um mit seinem Namen ein Gesicht zu verbinden.
Wir trafen uns in seinem Lieblingslokal in Greenwich, dem Grey Dog, das schick und gemütlich, doch nicht sonderlich öko war. Beim Kaffee suchte ich vergeblich einen Hinweis auf fairen Handel, die Milch war nicht bio, und Colin meinte, es habe einige Zeit gedauert, bis er die Inhaber überzeugen konnte, die Plastikbecher für den Wasserspender abzuschaffen. Aber ich würde bestimmt etwas finden, was ich essen konnte.
Dank einiger Fotos auf Colins Website wusste ich in etwa, wie er aussah. Als ich ihn dann aber im Café erblickte, war er kleiner als in meiner Vorstellung und wirkte auch biederer und langweiliger. Er sprach leise, hatte eine Einkaufstasche dabei, weil er danach zum Bauernmarkt am Union Square wollte, und ging – passend zu seinem ökologischen Fußabdruck – mit unbeschwertem Schritt.
»Dann steckst du also gerade mittendrin, was?«, fragte er, als er erfuhr, dass ich mein grünes Jahr in nur zwei Monaten hinter mir haben würde.
»Ja, ziemlich«, bestätigte ich und bestellte hastig einen Bagel mit Frischkäse, bis mir schlagartig klar wurde, dass ich soeben gegen meine Regel mit den biologischen Milchprodukten verstoßen hatte. Einen Sekundenbruchteil lang hatte ich eine paranoide Vorstellung, welche Überschrift Colins Blogeintrag des nächsten Tages zieren würde: »Die Wahrheit über Green As a Thistle – ›Öko‹-Bloggerin mampft ungeniert
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