Nackt schlafen ist bio
das ist?«
Vermutlich wusste ich es. Doch während der unablässigen ökologischen Bemühungen des letzten Jahres war es ganz normal für mich geworden, mir den Mund mit Myrrhe auszuspülen, jedenfalls nicht ungewöhnlicher, als Würmer von meinem Wohnzimmerboden zu fegen oder mir das Haar mit Essig zu waschen.
»Schelfeis!«, rief Dimitris plötzlich. »Weiß einer von euch, was Schelfeis ist?«
Ich ließ mich wieder neben Jacob ins Bett plumpsen.
8. JANUAR , 314. TAG
Den natürlichen Kleber Coccoina benutzen
Ich schnüffle Klebstoff, doch meine Hirnzellen sterben dabei nicht ab. Dieses Coccoina-Zeug, ein weiterer Fund aus meinem Hippieladen, ist ein Kleber aus Kartoffeln und Mandeln und duftet umwerfend. Und er klebt sogar, was mich erstaunt. Wie können Kartoffeln und Mandeln die Rückseite eines Hochglanzfotos so gut auf einem Stück Pappe festhalten? Irgendwann nehme ich mir natürlich die Zeit, das zu recherchieren, klar, aber im Moment bin ich zu high dazu.
10. JANUAR , 316. TAG
Vorratssäckchen aus ungebleichter biologischer Baumwolle benutzen
Da ich gerade Mandeln erwähnte: Ich habe endlich diese Säckchen aus Bio-Baumwolle aufgetrieben, die ich schon seit Monaten haben will. Sie eignen sich bestens, um Nüsse, Samen, Rosinen, Kaffeebohnen, Getreidekörner und andere Lebensmittel aufzubewahren, die im Laden lose angeboten werden. Zwar habe ich versucht, diese dünnen Plastiktütchen wiederzuverwenden, die neben den Großbehältern auf einer Rolle bereitstehen, aber die sind blöd zu lagern und im Nu staubig – diese Baumwollsäckchen sind so viel hübscher!
16. JANUAR , 322. TAG
Einladungen per E-Mail statt auf Papier verschicken
Ich kann es kaum erwarten, dass das endlich vorbei ist. Ehrlich, ich halt’s nicht mehr aus. Einerseits weiß ich, dass ich Rückschau halten und mir vor Selbstzufriedenheit Zen-gleich in mir ruhend vor Augen führen sollte, was ich in den zehneinhalb Monaten alles für ökologische Wohltaten vollbracht, welche 322 nachhaltigen Geschenke ich Mutter Natur dargebracht habe. Stattdessen denke ich an die Zukunft – dass ich in nur sechs Wochen von meinem Vorhaben befreit sein werde, das die Ausmaße eines zweiten Vollzeitjobs angenommen hat. Ich denke daran, dass ich in nur eineinhalb Monaten eine Spritztour mit dem Motorrad meiner Schwester machen und mir Essen vom Chinesen kommen lassen kann, und daran, wie ich eine Flasche echten Champagner entkorken und ein langes, heißes Bad nehmen werde.
Ich weiß, dass vieles aus diesem Jahr Bestand haben wird, eine Menge neuer Gewohnheiten werde ich auch künftig beibehalten, etwa den Kaffee im Thermobecher trinken und Plastiktüten vermeiden. Aber ich musste eben auch feststellen, dass mir manche Dinge ziemlich egal sind. So werde ich beispielsweise ab 1. März hemmungslos Avocados verspeisen, mir Unterwäsche ohne Rücksicht darauf kaufen, wo sie hergestellt wurde, sondern lediglich darauf achten, wie gut sie meinen Po zur Geltung bringt, und mir meine Haare sowohl föhnen als auch glätten.
Und bei vielen Veränderungen, die ich vorgenommen habe, weiß ich noch gar nicht so recht, wie ich auf Dauer dazu stehe. Ich bin selbst neugierig darauf, ob ich auch nächsten Herbst noch Shampoo und Spülung in wiederverwendbare Flaschen nachfülle und ob ich beim kleinen Geschäft weiterhin kein Klopapier benutze.
Jedenfalls weiß ich genau, dass ich nach dem 366. Tag definitiv wieder unökologischer leben werde. Ich freue mich schon auf die Wiederentdeckung der Höhen und Tiefen eines Konsumrausches und bin gespannt, wie ich meine gnadenlos egoistische Vorliebe für importierten Käse, überteuerte Dessous und ein gut geheiztes Haus im Winter mit meinem neu entdeckten Umweltbewusstsein in Einklang bringen werde.
Der beste Abschluss für dieses Jahr wäre, so überlegte ich, eine Party. Genau. Eine Öko-Abschiedsparty. Es könnte gleichzeitig auch meine Einweihungsparty sein, denn bis dahin würde ich schon einen Monat in meinem neuen Haus leben. Ich würde meinen Chef und all meine Kollegen von der National Post einladen, meine alten Freunde aus der Schul- und Studienzeit, meine Eltern und meine Schwester, Lloyd von Treehugger.com – all die verschiedenen sozialen Welten, in denen ich mich bewegte, würden einen Abend, und nur diesen einen Abend, aufeinanderprallen.
Ich sah es vor mir: Schüsseln mit Käsecrackern in all ihrer Glutamat-Pracht, Gummibärchen aus Glukose, Stärke, Öl und Wachsen, Brownies mit Sprühsahne,
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