Nackt schlafen ist bio
Gäste in meiner Küche und meinem Wohnzimmer breitgemacht haben: die Kompostwürmer und ihre Verwandten, die Maden.
Blenden wir kurz zurück zu dem Augenblick, als ich aus Banff heimkehrte und in meiner Wohnung halb leere Styroporbehälter mit Thai-Nudeln, eine verrußte Küchendecke und zahlreiche Nachrichten von meiner Mutter und meiner Schwester vorfand, in denen sie die schrecklichen Pannen ihrer Haussitter-Bemühungen en détail schilderten. Den Rest jenes Abends hatte ich damit zugebracht, den Kühlschrank zu putzen, den Abfall nach Recycelbarem zu durchsuchen und das Fell meiner Katze von stinkendem Urin zu säubern. Als ich die Kühl-Gefrier-Kombination wieder aussteckte, versäumte ich es jedoch dummerweise nachzusehen, ob Emma etwas im Gefrierschrank zurückgelassen hatte. Was nämlich der Fall war: eine Fertiglasagne für die Mikrowelle. Und so einer Lasagne bekommt es gar nicht, wenn sie bei Zimmertemperatur in einer feuchten Umgebung ohne jegliche Belüftung aufbewahrt wird.
Als ich heute Nachmittag die Gefrierschranktür öffnete, um frische Luft hineinzulassen, schlug mir ein derart fauliger Geruch entgegen, dass ich würgte, herumfuhr und beinahe in die Küchenspüle kotzen musste. Kleine, krabbelnde Larven hatten die gesamte obere Hälfte des Geräts in Beschlag genommen, und es stank nach verrottendem Fleisch und feuchtem Karton.
Nachdem ich mich wieder gefasst hatte, schien es mir das Vernünftigste zu sein, einfach die Tür geschlossen zu halten und die Ungezieferplage zu ignorieren. In nur vier Monaten konnte ich das Gerät wieder einschalten und diese Mistdinger alle erfrieren lassen. Dann würde ich meinen neuen Boyfriend bezirzen, die Schweinerei zu entfernen.
Als ich so in der Küche stand, wurde ich an eine weitere ökologische Pflicht gemahnt, die möglicherweise ebenfalls Ekelpotenzial barg, jedoch keinerlei Aufschub duldete: Es war kälter geworden, und mein Kompostbehälter musste vom Balkon ins Wohnzimmer geschafft werden, sonst würden mir die Würmer eingehen. Zwischen dem Bücherregal und dem Esstisch war gerade genug Platz dafür, und mochte diese selbst gezimmerte Sperrholzkiste auch nicht gerade ein Designerstück sein, so würde sie doch immerhin vermutlich für reichlich Gesprächsstoff sorgen. (Außerdem hoffte ich auf eine Steuerermäßigung, wenn ich meine Wohnung mit ein paar Dutzend Würmern teilte. Konnte ich nach sechs gemeinsamen Monaten nicht so etwas wie eine artenübergreifende eheähnliche Lebensgemeinschaft geltend machen?)
Wie auch immer: Sie mussten rein.
Als ich das Ding damals gebastelt hatte, half mir mein Freund Sam, es hinauszutragen, bevor wir Erde, Essensreste und Würmer hineinfüllten. Jetzt war es zu drei Vierteln voll, und es war niemand hier, der mir helfen konnte. Trotzdem sagte ich mir ganz zuversichtlich, dass das nicht so schwierig sein könne – schließlich handelte es sich bloß um eine Kiste, die woandershin gestellt werden musste, und zwar nur ein paar Meter weiter. Also ging ich hinaus, packte den Behälter an beiden Seiten und zerrte daran, sodass ich ihn über den Boden in meine Richtung schleifte. Kleine Sperrholzsplitter bohrten sich in meine Unterarme, dann knallte er mir frontal gegen den Bauch. Ich beschloss, ihn zu drehen, damit er mit der Vorderseite zu den Schiebetüren zum Wohnzimmer und schon in der richtigen Position stand. Jetzt kam allerdings der schwierige Teil: die Schwelle der Balkontür und dann der Weg durchs Wohnzimmer. Ich umklammerte die Kiste fest mit beiden Armen.
Zwar ließ sie sich schieben und ziehen und mit ein paar kräftigen Rucken auch über Hindernisse hinwegbugsieren, aber schlecht hochheben, weil man an den glatten Oberflächen keinen Halt fand – der Deckel schloss plan mit den Seiten ab, die keine Griffe, ja nicht einmal vorspringende Kanten hatten. Am Ende beugte ich mich darüber, packte die hinteren Ecken und zerrte unter Anspannung sämtlicher Muskeln, von deren Beanspruchung Physiotherapeuten abraten, die Kiste ächzend zu mir.
Beinahe klappte es. Ich hatte sie schon halb durch die Tür, als sie hängen blieb und mir entglitt. Ich fiel nach hinten um.
Dieser Sturz wäre an sich noch nicht so tragisch gewesen, wenn nicht gleichzeitig die Schublade unten in der Kiste herausgerutscht und davongeschlittert wäre und das an der Innenseite befestigte Trenngitter aus Maschendraht, das den Kompost zurückhielt, mit herausgerissen hätte. So ergoss sich ein Schwall aus schleimigem Kohl, panischen
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