Nackt schlafen ist bio
Thai-Lieferservice bemüht. Ein ganzer Brotlaib, drei Pflaumen, zwei Äpfel, ein Salatkopf und ein Bund Karotten waren unzerkleinert im Komposter gelandet, ohne dass Emma auch nur die Erde gewendet hätte. Angesichts dieser Verschwendung wären jedem Mitarbeiter einer karitativen Tafel die Tränen gekommen, doch im Kühlschrank sah es noch weit schlimmer aus: Pizzareste, ein angebissenes gekauftes Schinkensandwich, gesüßte Fertigsahne in der Sprühdose, konventionelle Milch, Importwein im Tetrapak und so weiter. Nichts bio, nichts ohne Konservierungsstoffe – kurz gesagt, nichts, was ich essen konnte.
Dann las ich ihre Nachricht.
Sie hatte eine Überschrift.
»Die Dekonstruktion einer Öko-Wohnung«.
»Tag 1: Als Erstes das Glätteisen eingesteckt und den Kühlschrank kälter gedreht. Das Licht unten hat versehentlich die ganze Nacht gebrannt, ABER dafür habe ich den Wecker ausgesteckt, der um vier Uhr morgens geläutet hat, weil ich nicht wusste, wie ich ihn ausstellen sollte. Frühstück bei Starbucks. Da ich nicht kochen kann, lasse ich mir Essen ins Haus kommen, damit spare ich gleich doppelt Energie, die vom Herd und meine eigene.
Tag 2: Hoffe, der Komposter verträgt Thai-Essen. Hatte ziemlichen Bammel beim Reinschauen. Habe mir heute Nachmittag deinen Marc-Jacobs-Mantel ausgeliehen – leihen ist doch öko, oder? Die Red-Bull-Dosen stapeln sich schon, aber das Zeug ist zuckerfrei, ich unterstütze damit also zumindest keine nicht regionale Zuckerrohrproduktion.
Tag 5: Eventuell sind die Würmer tot.
Tag 5: WER ZUM TEUFEL HAT DIESE ELEKTRISCHEN WASSERKOCHER ERFUNDEN ?!? DIE KÜCHE STEHT IN FLAMMEN !! MUSS MACHEN , DASS ICH MIT DER KATZE HIER RAUSKOMME !«
Offenbar hatte Emma meinen elektrischen Wasserkocher mit einem normalen Wasserkessel für den Herd verwechselt, obwohl man den Stecker und das Kabel eigentlich nicht übersehen kann, und darin Wasser auf einer Herdplatte aufgesetzt, um irgendein Instant-Kimchi-Gericht zuzubereiten, woraufhin sie nach oben ging und sich wie immer endlose Stunden im Bad aufhielt.
Irgendwann fing der Wasserkocher Feuer und begann zu schmelzen, das flüssige Plastik ergoss sich über den Herd, Rauch stieg zur Decke auf und färbte sie schwarz.
Aber das war nur der Anfang.
Emma hatte sich bemüht, das Öko-Gebot »Die Spülung nur bei großem Geschäft betätigen« einzuhalten. Wie ich ja schon erwähnt habe, trinkt meine Schwester aber nur Kaffee und Alkohol und spülte dank ihrer trägen Verdauung höchstens alle vier Tage. Weshalb jetzt eine außerordentlich hochkonzentrierte Urinlache in meiner Toilettenschüssel gärte.
Nach dem Malheur mit dem Wasserkocher ging Emma wieder nach oben ins Bad, wohin ihr Sophie, die vielleicht die Nase voll hatte von dem Chaos im Erdgeschoss, folgte. Aus schleierhaften Gründen hüpfte sie dort auf die Klobrille, rutschte ab und landete in dem Wasser-Urin-Gemisch, was sie verständlicherweise in Panik versetzte. Sie krabbelte von Kopf bis Fuß durchnässt heraus und rannte wie von Sinnen in der Wohnung herum; als meine Schwester ihr nachsetzte, lief sie nur noch schneller und hinterließ dabei eine stinkende Tropfspur.
Da warf Emma das Handtuch und verzog sich übers Wochenende in die Hütte ihres Freundes.
Auf der letzten Seite stand, nicht mehr in Emmas runder Handschrift mit den ausladenden Ober- und Unterlängen, sondern in dem eckigen Ärztegekrakel meiner Mutter: »Habe das Ruder übernommen.«
Gott sei Dank, dachte ich.
Doch der Zustand meiner Wohnung verriet mir, dass auch noch nach dem Auftauchen meiner Mutter etwas schiefgegangen sein musste, denn es war bestenfalls das Gröbste bereinigt – und bei ihr ist normalerweise alles picobello sauber und aufgeräumt.
Mom schrieb, sie habe die schlimmsten Spuren an der Küchendecke beseitigt und den gammeligen Müll rausgebracht (Emma hatte den Müllschlucker draußen nicht gefunden), das war die gute Nachricht. Doch weil auch ihre Notiz mindestens fünf Seiten lang war, hielt ich die Luft an und wappnete mich für weitere Kapitel über Öko-Verbrechen in der Haussitter-Saga.
Die nächste Seite begann mit der Beschwerde, dass ich kein Kabelfernsehen habe, weswegen meine Mutter ihren Feierabend mit dem Durchblättern von Fotoalben und – huch! – dem Lesen eines Buchs verbringen musste. Lag es an der ungewohnten Anstrengung, die damit verbunden war, auf gedruckte Wörter schauen zu müssen, anstatt sich von der Glotze berieseln zu lassen, den damit verbundenen
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