Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
Vom Netzwerk:
Manteltaschen. Also war es zur Tatsache geworden, was einmal kommen musste. Nur erschien es in seiner erschreckenden Unmittelbarkeit so unwirklich, dass Krämers kühle Nüchternheit im Strudel zerwirbelte. Vor einer knappen Woche noch hatte er zu Schüpp gesagt:
    »In 14 Tagen sind wir frei oder tot …«
    Welch hohle Phrase war das damals noch gewesen! Jetzt aber stand er vor der Wirklichkeit!
    Krämer durchfröstelte ein Schauer. Und was würde aus Höfel werden? Aus Kropinski? Aus den zehn Mann von der Effektenkammer? Pippig! Das Kind! Was würde aus allen werden?
     
    Die Verhafteten waren in das Gefängnis gesperrt worden, das sich die Weimarer Gestapo eigens für ihre Zwecke im Marstall eingerichtet hatte.
    Rochus Gay, der SD-Mann, hatte sich Kluttig mit auf sein Zimmer genommen, das sich in der ersten Etage des Vordergebäudes befand. Trostlos kahl war dieser Raum mit seiner zusammengetragenen Einrichtung, die nur aus einigen Stühlen, einem Tisch, einer Schreibmaschine am Fenster und einem hässlichen Rollschrank bestand. Eine vergessene Topfpflanze vegetierte kümmerlich auf dem Fensterbrett.
    Helle Vierecke an der vom Alter gebräunten Tapete zeigten{ein freundliches Blumenmuster, das die Sonne nicht hatte ausbleichen können}.
    Kluttig hatte sich auf dem Stuhl, der sich neben der Schreibmaschine befand, niedergelassen. Gay, die Zigarre im Mund, stand mitten im Zimmer, den Kopf in die breiten Schultern geduckt. Sein abgetragener Anzug hing ihm lässig um den robusten Körper. Der SD-Mann hatte die Hände in die Taschen der verbeulten Hose vergraben. Die seitlich gerutschte, vom täglichen Binden ausgeleierte Krawatte hing über dem schlaffen Jackett. Mit seiner heiseren Stimme knurrte Gay den Lagerführer an: »Ich möchte wissen, was ihr Weihnachtsmänner da oben auf eurem Berg eigentlich macht? Jetzt sollen wir euch ein kleines Kind herbeischaffen! Wir sind doch keine Kinderbewahranstalt.«
    Gay bleckte die Zähne, zwischen denen er die aufgekaute Zigarre hielt.
    »Eure Sorgen möchte ich haben …«
    Kluttig versuchte, Gay die Zusammenhänge klarzumachen. Die gefährliche Frontlage gestattete keinen Aufschub in der Aufdeckung der geheimen kommunistischen Organisation …
    Ungeduldig schlenkerte Gay mit den Ellenbogen, weil die in die Taschen vergrabenen Hände keine freie Bewegung der Arme zuließen. »Fünf Minuten vor zwölf kommt ihr damit angeschissen.«
    Kluttig verteidigte sich. »Wir suchen schon lange danach …«
    »Ihr Heinis …«, stieß Gay verächtlich aus. »Die ganzen Jahre über habt ihr euch da oben den Arsch gewärmt und Lebeschön gemacht. Wie die Götter seid ihr herumgestelzt …«
    Kluttig wollte Einwendungen machen, doch Gay ging ihn scharf an: »Quatsch nicht! Du bist genauso ein Weihnachtsmann wie die anderen!« Er wälzte die Zigarre mit der Zunge. »War ein schönes Spielchen, was? Mützen ab, Mützen auf!Und strammstehen vor euch! Je mehr die Duckmäuser vor euch zusammengekrochen waren, desto mehr habt ihr euch gefühlt: Uns kann keiner! Arschlöcher! In eurer Borniertheit habt ihr gar nicht bemerkt, wie gern die vor euch gekuscht haben. Umso sicherer nämlich konnten sie sich in ihre Maulwurfslöcher verkriechen. Na bitte, was ist nun?«
    Kluttig saß wie gescholten.
    »Wenn ihr die ganze Zeit über bloß dämlich gewesen wäret, wollte ich gar nichts sagen«, fuhr der SD-Mann fort, »aber gefressen habt ihr, gesoffen, gehurt … größenwahnsinnig seid ihr gewesen! – Und jetzt, wo ihr die Koffer packen müsst, merkt ihr auf einmal, dass die Kommune …« Er brach ab und betrachtete sich ärgerlich den kalt gewordenen Zigarrenstrunk.
    Kluttig, der die Vorwürfe als bitteres Unrecht empfand, versuchte, sich zu rechtfertigen.
    »Ich gebe dir mein Ehrenwort, dass ich alles getan habe …«
    Gay brannte sich den Strunk wieder an und kniff die Augen zusammen, weil der Rauch ihn biss; gelangweilt überhörte er Kluttigs Versicherung.
    »Erzähle, was mit dem Schrott los ist, den du mir da gebracht hast!«
    Erleichtert, dass der SD-Mann zur Sache überging, berichtete Kluttig ausführlich. Währenddessen ging Gay mit vorgeducktem Kopf im Zimmer umher, anscheinend wenig interessiert, doch hörte er aufmerksam zu und kombinierte bereits.
    Der Zusammenhang zwischen dem Kind und der Kommune schien tatsächlich gegeben, auch in der Beurteilung des Pippig und Rose schien Kluttig recht zu haben. So wie die beiden ihm dargestellt wurden, schien der eine ein couragierter, der andere ein

Weitere Kostenlose Bücher