Nackt unter Wölfen
den Kübel, Deckel zu, Binden drauf – dobrze.« Zidkowski blickte Krämer gespannt ins Gesicht, auf Einverständnis wartend.
Krämer senkte resigniert den Blick. Es gab wohl kaum eine bessere Möglichkeit. Alles andere war Glückssache. Gingen sie nicht an dem Kübel vorbei und forderten sie dessen Entleerung – Krämer sah die drei Polen an, die ihn umstanden –, dann starb das Kind und mit ihm diese drei Braven.
Aus ihnen leuchtete bereits das Schweigen, mit dem sie in den Tod gehen würden. Drei Augenpaare waren auf ihn gerichtet. Drei arme Polen standen vor ihm, herausgerissen aus dem Boden ihrer Heimat. Er kannte ihre Namen kaum, wusste nichts von ihnen. Das grau-blaue Häftlingszebra umschlotterte ihre Körper. Zwar wucherten die Bartstoppeln in den Falten ihrer Gesichter wie Moos in den Furchen des Erdreichs, zwar hatte die Not die Backenknochen herausgetrieben, aber die Augen leuchteten als einzig Unzerstörbares in den verwüsteten Gesichtern der Menschen. Tod und Not hatten das Licht der Augen nicht trüben können. Fackeln waren sie, noch leuchtend in der Tiefe der Erniedrigung. Erst der Schuss aus der Pistole eines Tieres in grauer Uniform konnte diesen Glanz zum Schweigen bringen. Aberauch dann würde das Verlöschen gleich sein dem stillen Untergang eines Gestirns, und das Dunkel des Todes war der sanfte Schleier, der die ewige Schönheit umhüllt.
So dachte es Krämer zwar nicht, aber tief im Herzen fühlte er es.
Zidkowski nickte ihm freundlich zu. Auch dieser schlichte Gruß des Menschenherzens spannte sich als Bogen einer Brücke, die nie zerstört werden kann.
Krämer ging zur Bettstatt. Mit verschämter Hand strich er über des Kindes Kopf, sagte nichts, dachte: Armer kleiner Maikäfer … Er erinnerte sich der Schachtel mit dem durchlöcherten Deckel, damals, als er ein Knabe gewesen war.
Welche Last lag jetzt auf seinem Herzen! Für das Kind hatte er nun getan, was zu tun möglich gewesen. Doch was blieb zu tun alles noch übrig! Hielt nicht das Kind, unwissend und in schuldlosen Händen, den Faden, an dem alles hing?
Sinnend schaute Krämer auf das Wesen herab. Höfel und Kropinski waren dafür in den Bunker gegangen, zehn Mann aus der Effektenkammer waren seinetwegen verschleppt worden. Tausend entschlossene Kämpfer, unbekannt und unerkannt, schwebten in ständiger Gefahr, und jetzt standen wiederum drei armselige Polen mit nackten Händen um das Kind, es zu schützen.
{Welch} Verwirrende Verstrickungen und Verschlingungen {der Schicksale}. In welchen Irrgängen schlug sich das Menschentum seinen Weg durch die Hölle der wilden Tiere! Jede Stunde gewärtig, in einen der Abgründe zu stürzen, die überall lauernde Gefahr … nein, so war es nicht! Es war ganz anders! Die wachsende Zahl der Menschen rund um das Kind war keine Lawine, die alles unter sich zu begraben drohte, sie war ein Netz, das sich wob und sich schützend ausbreitete.
Von Höfels und Kropinskis Standhaftigkeit über Pippigs Treue bis zu der schlichten Bereitschaft dieser einfachenMenschen hier schlang sich der Faden, und je mehr sie daran zerrten, desto fester und unzerreißbarer wurde das Netz.
So war es und nicht anders! Krämer atmete wie in frischer Luft. Er gab Zidkowski die Hand.
»Na, alter Junge«, knurrte er ihn in rauborstiger Herzlichkeit an, »die Sache wird schon schiefgehen.«
Zidkowski hatte keine Bedenken.
Im Kleinen Lager war Gedränge und Geschrei. Vom Bad kommend, stolperten die regellosen {Rudel} der Zugänge durch den Stacheldrahteingang ins Innere des Kleinen Lagers hinein.
Viele von ihnen hatten nicht Zeit gefunden, sich auf der Kleiderkammer anzuziehen. Nackt oder nur mit der Hose bekleidet, die übrigen Sachen überm Arm, kamen sie an. Die meisten trugen die ungefügen Holzschuhe in der Hand und holperten barfuß über den Schotter. Der Lagerschutz führte sie. Nervöse und geplagte Blockälteste nahmen sie in Empfang und wussten nicht mehr, wie sie die Massen in ihren längst schon überfüllten Pferdeställen unterbringen sollten. So wurden die durch die Strapazen wochenlanger Märsche ausgehöhlten und durch die sich überstürzenden Eindrücke der neuen Umgebung verstörten Menschen zur unschuldigen Ursache der allgemeinen Nervosität. Man stieß sie hin und her und schob sie immer wieder zu neuen Haufen zusammen.
Jeder Blockälteste wollte sich so viel wie möglich von den Zugängen vom Halse halten, drum kam nie Ordnung in das Gewimmel, und Krämer, von Zidkowski kommend,
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