Nackt unter Wölfen
feiger Kerl zu sein. In Gay erwachte das Jagdfieber. Er ließ Kluttig reden und dachte über die Taktik nach.
Rose und Pippig!
Bei diesen beiden musste die Brechstange angesetzt werden.
{Routine jahrelang erprobter Vernehmungstechnik!}
Kluttig beschwor den SD-Mann: »Wir haben nicht mehr viel Zeit, die Front rückt immer näher …« Aufgescheucht erhob er sich und stellte sich Gay in den Weg. Im Nachdenken gestört, blickte dieser den Lagerführer an, dessen Gesicht die Dringlichkeit der Angelegenheit widerspiegelte. Gay ließ sich von der Zeitnot nicht verwirren, er sah in ihr sogar eine großartige Chance, die verborgenen Spuren im Lager ausfindig zu machen. Allzu oft schon hatte er erfahren, dass der Mensch, vor die Wahl zwischen Leben und Tod gestellt, sich im letzten Augenblick für das Leben entschied, dass er schwach wurde und die Aussagen machte, die er bisher beharrlich verweigert hatte. Die zehn Kerle, die Kluttig ihm gebracht hatte, waren bestimmt schon viele Jahre im Lager. Auch sie wussten, dass das Ende bevorstand. Gay kniff die Augen zusammen, um die Gedanken noch schärfer zu sehen.
Wer würde, kurz vor dem Ende, sein Leben riskieren, wenn er die Möglichkeit fand, durch eine letzte große Gefahr zu schlüpfen? Der SD-Mann rollte die Zigarre und wischte mit ungeduldiger Handbewegung die weiteren Erklärungen Kluttigs hinweg.
»Gut nun, ich weiß Bescheid!«
Wenig später, nachdem Kluttig gegangen war, begab sich Gay nach dem Gefängnis hinüber. Trotz dessen Überfüllung ließ er eine Zelle frei machen und übergab dem Schließer die Namensliste der Buchenwalder mit der Weisung, deren Personalien aufzunehmen und die zehn Mann neu in die einzelnen Zellen zu verteilen.
Sie sollten »gemischt« werden. Für Rose und Pippig ordnete er an, dass sie gemeinsam in die frei gemachte Zelle kommen sollten. »Aber unauffällig, verstanden?! Das muss wiezufällig geschehen! Die Kerle dürfen nicht merken, dass sie absichtlich zusammengelegt werden.«
So kamen Rose und Pippig gemeinsam in die Zelle Nummer 16, und beide ahnten nicht, dass damit die erste Voraussetzung für die Taktik kommender Vernehmungen geschaffen worden war.
Rose war völlig zusammengebrochen. Mit schlaffem Oberkörper saß er auf dem einzigen Schemel der Zelle, hielt die Hände, die sich nervös aneinanderrieben, zwischen den Knien und stierte vor sich hin. Sein Gesicht war kalkweiß, und die Aufregung saß ihm als bleierne Übelkeit im Magen.
Pippig sah sich mit einem Rundblick in dem kahlen Raum um und knuffte dann Rose aufmunternd an die Schulter.
»Reiß dich zusammen, Mensch!«
Rose atmete schwer und fauchte zwischen zitternden Lippen hervor: »Du Hund …«
Pippig sah Rose überrascht an, der in innerer Pein mit dem Oberkörper zu wiegen begann.
»Du Hund … wenn ich jetzt kurz vor Torschluss noch kaputtgehe, dann bist du daran schuld!«
Pippig sah die Qual des Menschen. »Aber August …«
Unvermittelt sprang Rose auf, packte Pippig an der Gurgel. Pippig riss sich aus dem Würgegriff, doch Rose ließ nicht ab, er stürzte sich auf den Gegner, und sie rangen miteinander.
Pippig überwältigte den Rasenden. Der Schemel fiel polternd um, die Zelle wurde aufgeschlossen, und der Schließer kam herein.
»Nanana, was macht ihr denn?«
Er brachte die Verknäulten auseinander. »Wollt ihr euch noch umbringen? Genug schon, dass ihr hier seid. Vertragt euch und seid froh, dass ihr eine Zelle für euch allein habt. In den anderen stecken sie zu 15 Mann zusammen.«
Der alte Schließer erkannte sofort, wer von den beiden dieNerven verloren hatte, darum drückte er Rose auf den Schemel.
»Nu beruhigen Sie sich.«
Er wandte sich an Pippig, der sich die vom Handgemenge aufgerissene Jacke zuknöpfte. »Damit macht ihr es euch nur noch schlimmer.«
Pippig hörte aus den Worten die menschliche Anteilnahme und nickte dem Alten dankbar zu. Der ließ sie wieder allein und schloss die Zelle ab.
So, wie er vom Schließer auf den Schemel gesetzt wurde, war Rose sitzen geblieben. Hilflos und in panischer Angst wimmerte er vor sich hin: »Ich habe damit gar nichts zu tun. Das geht mich nichts an. Ich habe meine Arbeit gemacht und weiter nichts. Ich will nach Hause. Ich will nicht kaputtgehen zu guter Letzt.«
Pippig hatte Mitleid. »Stimmt, mit dem Kind hast du nichts zu tun, August.«
Rose zeterte auf, seine Hände flatterten: »Ich weiß nichts über das Kind! Nichts weiß ich, gar nichts!«
»Na, dann ist es ja gut«, entgegnete
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