Nackt unter Wölfen
in den Kopf zu jagen. Dann können Sie meinetwegen auf Kluttigs Befehle hören! Solange ich lebe, gilt
mein
Befehl!«
Schwahl sah die Wirkung seiner Demonstration auf allen Gesichtern. Er schleuderte die Pistole ins Schubfach zurück und stieß es zu.
»Keine Panik, meine Herren! Noch halten unsere Truppen die Stellungen. In wenigen Tagen wird das Lager leer sein, und wir haben Gelegenheit, uns abzusetzen. Mein Befehl gilt. Es ist der Befehl von Reichsführer SS!«
Zweiling hatte sich auf der Effektenkammer noch nicht sehen lassen. Keiner der Häftlinge vom Kommando dachte daran, zu arbeiten. Sie drückten sich im Schreibbüro und im Kleiderraum herum. Das Schicksal des Kommandos lastete auf jedem Einzelnen von ihnen. Pippigs Tod machte sie voreinander still.
Rose saß an seinem Arbeitsplatz. Keiner der Häftlinge sprach mit ihm, keinen von ihnen wagte er anzusehen, obwohl es ihn drängte, gegen die Absonderung aufzubegehren. Doch die stumme Verachtung drückte ihn viel zu sehr zusammen, so dass er am Tisch hockte und als Einziger, gallig und verbissen, eine unsinnige Betriebsamkeit entwickelte. Die schweigsame Aufmerksamkeit der Häftlinge aber galt dem Zinker Wurach. Der spürte die geheime Übereinstimmung gegen sich und bemühte sich krampfhaft, recht aufgeräumtzu sein. Er war der Einzige, der unaufhörlich schwatzte; soweit überhaupt Gespräche zustande kamen, drehten sie sich um die bevorstehende Evakuierung.
»Von mir aus kann es besser heute als morgen losgehen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.«
Wurachs Bemerkung wurde vorerst schweigend hingenommen, bis sich einer von den Häftlingen, mit denen sich Wurach im Schreibbüro befand, nicht zurückhalten konnte und bemerkte: »Es gibt auch in diesem Falle welche, die es verstehen, mit dem Arsch an die Wand zu kommen …«
Sofort hakte ein anderer ein: »Vorausgesetzt, dass so einem nicht schon vorher der Arsch kalt geworden ist …«
Die Anspielung war deutlich. Wurach fühlte sich umlauert und übermeckerte verlegen die verborgene Drohung. Die Häftlinge schwiegen wieder. Aber in ihnen allen bohrte es. Wenn sie den Zinker nur greifen, wenn sie ihm auf die Stirn zusagen könnten: Du Hund hast uns verzinkt! Du hast auch Pippig auf dem Gewissen! Doch sie wagten es nicht. Noch war es zu gefährlich, ihn an der Kehle zu packen.
Am Nachmittag kam Zweiling. Sein Erscheinen war die Folge einer Auseinandersetzung, die er mit Hortense gehabt hatte. Zweiling wollte sich von nun an überhaupt nicht mehr im Lager sehen lassen. »Man kann nie wissen …«, war die philosophische Begründung seiner Absicht. Doch Hortense hatte ihn fortgetrieben. »Alle deine Leute stehen jetzt auf ihrem Posten, und du willst dich drücken?«
»Jeder ist sich selbst der Nächste …«
»Der Nächste?«, hatte Hortense gekeift. »Der Nächste, der von seinen eigenen Leuten umgelegt wird, bist
du
!«
»Wieso ich?«, war die dumme Frage Zweilings.
»Na, hört euch den Herrn Hauptscharführer an! – Erst mogelt er mit einem Judenbalg, dann mogelt er mit der Kommune …«
Hortense hatte aggressiv die Fäuste in die Hüften gestützt.
»Wenn ich Kluttig wäre, dann würde ich sagen: Da haben wir ja den Beweis! Nun drückt er sich beiseite, der feige Hund!«
Hortense war auf Zweiling losgefahren: »Gerade
jetzt
musst du stramm durchhalten! Denn zu guter Letzt wirst du mit deinen Leuten abziehen müssen. Oder bildest du dir noch immer ein, bei der Kommune unterkriechen zu können?« Hässlich hatte Hortense aufgelacht: »Wo ist dein Judenbalg? Die Kerle haben dich damit ganz schön reingelegt.«
Zweiling hatte die Zunge vorgeschoben und nachdenklich geblinzelt. Die sonst so verworrene Sicht {in das Ende} hatte sich inzwischen so weit geklärt, dass die Räumung des Lagers gesichert schien, bevor die ersten Amerikaner kamen. Also ging es ins Ungewisse hinein. Hortense hatte wieder einmal recht gehabt. Zweiling musste mitmarschieren.
Das Kommando merkte Zweilings verändertes Wesen. Er kümmerte sich um niemand, interessierte sich nicht für die Arbeit, zog sich sofort in sein Zimmer zurück, und hier blieb er. Für Wurach war Zweilings Verhalten ein Signal. Von diesem hatte er nichts mehr zu erhoffen, von den Häftlingen aber alles zu befürchten. Zwischen die Puffer war er geraten … Doch ließ sich Wurach nichts anmerken, wie angestrengt er bereits über einen Ausweg grübelte.
Obwohl längst erwartet, löste der Befehl, der am späten
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