Nackt unter Wölfen
mit übernehmen, denen der Sturm auf die SS-Kasernen zugedacht worden war.
Sichere und zuverlässige Nachrichten über den Stand derFront fehlten, trotzdem lag es wie eine Witterung in der Luft, dass die Tage, ja die Stunden des Lagers gezählt waren, dass täglich, stündlich mit dem Abzug der Faschisten zu rechnen war. Die Front war nah, sehr nah! Darüber gab es keinen Zweifel. Die überhasteten Evakuierungen, die bis zur Siedehitze getriebene Nervosität und Gereiztheit der SS, die unzähligen Gerüchte und Parolen, die immer häufiger werdenden Alarme, die zunehmende Fliegertätigkeit und nicht zuletzt der deutlich vernehmbare Lärm der Kämpfe, das alles fügte sich zu einem Bild zusammen, das die Situation klar erkennen ließ. Die Stunde der letzten Entscheidung war gekommen.
Bochow sprach es aus. Sein Blick traf auf Pribula, und übergangslos sagte er zu dem jungen Polen: »Du hast es uns durch deine ewige Ungeduld oft schwer gemacht, aber du hast sie trotzdem immer der Disziplin untergeordnet. Dafür danke ich dir, Genosse und Kamerad.«
Bochow ging in die Mitte der Versammelten hinein und setzte sich auf einen Tisch, um von allen gleichmäßig gehört zu werden.
»Bewaffneter Aufstand«, sagte er knapp. »Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder wird die Flucht der Faschisten so überstürzt sein, dass sie nicht mehr dazu kommen, das Lager zu liquidieren, dann brauchen wir nicht zu kämpfen. Oder sie versuchen in letzter Stunde, uns zu vernichten, dann
müssen
wir kämpfen! In jedem Fall ist die Front nah genug, um unter ihrem Schutz den Aufstand zu wagen. Klar?«
Keiner antwortete, einige nickten, aber alle rückten näher an Bochow heran. Noch leiser fuhr dieser fort: »Die Faschisten sind auf sich allein gestellt. Weder vom Militär noch von den Fliegern werden sie Hilfe erhalten. Wir kennen die Gründe und wissen, warum Schwahl bisher das Lager nicht liquidiert hat. Das schließt nicht aus, dass es in letzter Stunde nicht doch geschehen kann. Vielleicht morgen schon. – Darauf müssen wir uns vorbereiten.«
Die Männer reckten die Köpfe vor.
»Morgen, Kameraden, kann zu jeder Stunde unsere Alarmstufe zwei in Stufe drei verwandelt werden. Das heißt, alle Gruppen beziehen ihre Ausgangsstellungen, und die Waffen werden freigegeben. Außer Hieb- und Stichwaffen haben wir 90 Karabiner, 200 Brandflaschen, 16 Handgranaten, 15 Pistolen und Revolver und ein leichtes Maschinengewehr. Das ist nicht viel.«
Bochow betrachtete sich die schweigenden Gesichter.
»Zwei Faktoren helfen uns im Kampf: die Nähe der Front und die Kopflosigkeit der Faschisten. Ihre Flucht wird in jedem Falle eine überstürzte sein, auch dann, wenn sie vorher noch schießen. Klar?«
Bochow drückte sich beide Hände vor die Stirn.
»Wir wissen nicht, wie es vor sich gehen wird. Vielleicht schießen sie nur rundum von den Türmen? Vielleicht kommen sie ins Lager und brennen die Blocks mit Flammenwerfern nieder …«
»Vielleicht kommen sie überhaupt nicht mehr dazu, die Arschlöcher«, brummte der Führer einer deutschen Gruppe.
Die sarkastische Bemerkung strich Bochows Gedanken durch. Er ließ die Hände sinken.
»Gleich, auf welche Weise sie uns zu vernichten suchen, unser Kampf muss offensiv sein. Innerhalb des Zaunes sind wir ihnen ausgeliefert, nur im schnellen Ausbruch liegt unsere Chance.«
»Und wenn die dreifache Postenkette noch steht?«, warf einer ein.
Bochow schüttelte den Kopf. An seiner Stelle antwortete Pribula.
»Sind Faschisten doch in Flucht! Es muss gehen alles schnell. Kaputtschießen und abhauen. Was können sie dann erst noch Postenkette beziehen?«
»Richtig«, bestätigte Bochow. »Sie schießen und fliehen zugleich, da gibt es keine Postenkette mehr.«
Das erkannten alle.
»Wir müssen schnell aus dem Lager heraus. Die Bresche dafür zu schlagen ist Sache der polnischen und jugoslawischen Gruppen.«
Die Führer dieser Gruppen nickten, sie kannten ihre Aufgabe.
Plötzlich kam vom Fenster her ein Warnruf der Wache. Sofort wurde das Licht gelöscht.
»Was ist?«
»Ein Lastwagen fährt durchs Tor.«
»Auf uns zu?«
»Er hält an.«
»Licht!«, rief Bochow. Die Glühbirne flammte wieder auf. »In den Schlafsaal, schnell! Legt euch in die Betten!«
Über Tisch und Bänke hinweg stürzten die Männer in den Schlafsaal, rissen sich die Kleider herunter, kletterten in die dreifach gestaffelten Betten, zogen sich die Decken über.
»Noch ein Auto kommt. Sie biegen links ein.«
Das Licht ging
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