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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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Gehege.
    Vor der von dem jungen Soldaten bezeichneten Hütte blieb er stehen: »Hier drinnen ist es.«
    An der aufgestört grunzenden Sau vorbei kroch der Polein die Hütte. Im Hintergrund unter einem Haufen hochaufgeworfenen Strohs entdeckte er tatsächlich das Kind. Krämer wickelte es in eine mitgebrachte Decke.
    Mit Ungeduld hatten die durch Bochow vorbereiteten Insassen des Blocks auf die Ankunft des Kindes gewartet. Jetzt folgten sie Krämer in den Tagesraum. Bochow nahm Krämer das Bündel ab und legte es auf einen Tisch. Behutsam schlug er die Decke auseinander. –
    Völlig verwahrlost und verdreckt lag das zitternde, in sich verkrümmte Kind vor ihnen. Erschüttert starrten sie es an. Es machte nicht den Eindruck des Verhungertseins, der junge Soldat hatte für Nahrung gesorgt, aber es stank im Schmutz der eigenen Exkremente. Krämer richtete sich schnaufend hoch. »Seht zu, dass ihr aus dem da wieder einen Menschen macht …« Einige Beherzte griffen zu. Sie zerrten dem Kind die schmutzigen Lumpen vom Leib. In der Waschkaue säuberten sie es. Ein Pole war mit dabei. Liebevoll tröstete er in seiner Muttersprache und frottierte mit einem Tuch den kleinen fröstelnden Körper. Dann trugen sie das Kind in den Schlafsaal und steckten es ins wärmende Bett. In betretenem Schweigen umstanden die Häftlinge das Lager. Bochow nickte gedankenvoll vor sich hin. »Es hat uns viele bittere Stunden gekostet. Immer waren Kluttig und Reineboth hinter ihm her. Wie ein Paket ist es von Hand zu Hand gegangen. Nun ist es bei uns, und hier wird es bleiben bis zum Schluss.«
    Vielleicht verstanden manche nicht, was Bochow sprach. Es waren viele Neue unter den Alteingesessenen, Franzosen, Polen, Tschechen, Holländer, Belgier, Juden, Ukrainer, buntgemischt. – Bochow blickte auf und schickte ein Lächeln rundum, und es kam von den Gesichtern zu ihm zurück. –
     
    Ein zweiter Alarm legte das Lager wieder still. Er dauerte über viele Stunden, in denen nichts zu hören war, wederferne Einschläge noch Motorengebrumm am Himmel. Die Lautsprecher in den Blocks schwiegen. Leer und starr lag der Appellplatz, auf dem vor wenigen Stunden noch wüstes Getümmel gewesen war. Selbst die Posten auf den Türmen standen reglos. In toter Bewegungslosigkeit lag alles da wie ein abgestorbenes Stück der Natur. Wo war der Krieg in dieser Stille? –
    Bis in die späten Stunden des Tages blieb es so. Als endlich die Sirene zu röhren begann und in den Diskant des Entwarnungsschreis hinaufstieg, erholte sich alles nur schwer von der Lähmung.
    Krämer, der die Zeit des Alarms in der Schreibstube verbracht hatte, blickte unruhig durchs Fenster. Oben am Tor blieb es noch immer still, unheimlich still! – Und 10   000 sollten noch marschieren. – Für jede Minute erwartete Krämer die Durchsage. Dann würde wieder eine Treibjagd beginnen, denn er hatte nichts getan, um den Transport zusammenzustellen. Aber es kam nichts.
    Um seine Unruhe vor sich selbst zu beschwichtigen, meinte Krämer: »Der Alarm war gut, einen Tag haben wir gewonnen, sie können nicht mehr evakuieren.«
    Dann aber regte es sich doch da oben. Die Häftlinge der Schreibstube sprangen an die Fenster. Eine SS-Kolonne, von den Kasernen kommend, marschierte am Zaun entlang zum Tor.
    »Was ist?«
    Schon kam Reineboths Stimme: »Lagerältester, mit den Kriegsgefangenen zum Tor!«
    Krämer sah zum Lautsprecher hinauf, nickte sich zu, er hatte es geahnt. Mit schweren Schritten ging er in seinen Raum hinüber und zog den Mantel an.
    Der Ruf hatte das Lager lebendig werden lassen. Aus allen Blocks rannten Häftlinge, und als Krämer hinzukam, stand die Menge vor dem Block der Kriegsgefangenen. Bochow,Kodiczek, Pribula, van Dalen zwängten sich durch den Haufen nach vorn. Still und schweigend standen sie nebeneinander, auch als die Menge in Bewegung geriet, da Krämer mit den ersten der Gefangenen aus dem Block herauskam. Der Zug formierte sich. {Mit den Letzten} erschien Bogorski. Er trug nicht mehr das Häftlingsdrillich, sondern wie die übrigen seiner Kameraden eine abgeschabte Felduniform der Roten Armee.
    In Gliedern zu zehn Mann stellten sich die Gefangenen auf.
    Krämer musste das Zeichen zum Abmarsch geben, an der Spitze des Zuges ging er dann. Bogorski ließ den Zug an sich vorbei. Er prüfte die geheime Einteilung. Dann drehte er sich zu der Menge um. »Auf Wiedersehen, Kameraden«, rief er auf Deutsch. Die Häftlinge winkten. Unbedeckten Hauptes standen die Genossen des ILK.

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