Nackt unter Wölfen
wieder aus. Bochow blieb bei der Wache.
{Im Lastwagen fuhren zwei SS-Leute. Im Auto saßen Schwahl, Wittig und Weisangk.} Die Wagen fuhren nach dem Krematorium. {Wie stets, wenn sich Besonderes abspielte, wurde das Kommando des Krematoriums im Schlafsaal eingeschlossen.} Der Scharführer des Krematoriums öffnete den hinteren Zugang. Die Wagen bogen ein. Schwahl ging mit seiner Begleitung in den Verbrennungsraum. »Drei Öfen unter Feuer?«, vergewisserte er sich.
»Wie befohlen«, meldete der Scharführer.
»Los dann.«
Die SS-Leute entluden den Lastwagen. Berge von Akten schleppten sie in den Verbrennungsraum und warfen sie in die Öfen.
»Sie verbrennen«, flüsterte die Wache.
Bochow drückte das Auge ans Guckloch des Verdunklungsrahmens. Der schwarze Schornstein des Krematoriums sprühte eine mächtige Funkengarbe zum Himmel hinauf. Unzählige schwarze Fetzen schwammen und schaukelten im roten Schein. –
Stapel um Stapel brachten die SS-Leute herbei. Schwahl stand mit seinen Begleitern schweigend daneben. Nervös zog er an der Zigarette. Wenn die schwere Feuerungsklappe geöffnet wurde, wurden sie gespenstisch angeglüht. Mit dem Schürhaken rührte der Scharführer die Glut. Nur einmal meckerte Schwahl vor sich hin. Er blickte zu Wittig.
»Klug von mir?«
Die Ordonnanz stimmte zu.
»Nun kann uns koaner was beweisen«, grunzte Weisangk zufrieden. –
Fast zwei Stunden hockte Bochow am Fenster. Endlich sah er die Autos zurückkommen. Sie fuhren durchs Tor, die schmiedeeiserne Tür schloss sich.
Die Funkengarbe war in sich zusammengesunken, nur manchmal noch stiebte der Schornstein mit letztem Atem eine Lohe aus.
»Was mögen sie verbrannt haben?«
Bochow hob die Schultern. »Es waren keine Leichen …«
Mit Unruhe begann der Tag. Die zur Bedienung der SS Kommandierten wurden nicht mehr aus dem Lager gelassen und kehrten nach ihrem Block 3 zurück. Die Neuigkeiten, die sie am Abend vorher noch mit hereingebracht hatten, verbreiteten sich mit Windeseile im Lager und versetzten es in höchste Erregung. Erfurt sollte gefallen sein und die Amerikaner nur noch 12 km vor Weimar stehen. Von Stunde zu Stunde konnte sich die Lage verändern. Kein Häftling mochte glauben, dass die Faschisten, wenn sie fliehen mussten, das Lagerunbehelligt zurücklassen würden. Jeder hielt eine weitere Evakuierung für unmöglich. Dafür war der Amerikaner sicher schon zu nah, aber noch nicht nah genug, um rechtzeitig einen Massenmord im Lager verhindern zu können. Die Ungewissheit lief mit der Zeit um die Wette, und jede Stunde, in der das Gefährliche noch ausblieb, war der ständigen Bedrohung abgerungen.
Bochow hielt es an der Zeit, Runki aus seinem Versteck herauszuholen. Was sollte dieser noch in dem Verlies, wenn jede Stunde die Entscheidung über Leben und Tod bringen konnte? Unter dem Jubel seiner Kameraden kroch Runki – bartstoppelig und abgemagert – aus dem Loch am Fußboden. Auf seinem Blockältestentisch saß das Kind, in einer zurechtgestutzten und eilig zusammengeflickten Häftlingsmontur. Sie hielten Runki das Menschenbündel entgegen: »Unser jüngster Kumpel!«
Spezialtrupps vom Lagerschutz holten Ausbruchswerkzeuge, Brechstangen und isolierte Zangen für den elektrisch geladenen Zaun aus den Verstecken. Andere Trupps vom Lagerschutz stiegen am Nordhang des Lagers im freien Gelände umher. Sie kontrollierten die seit Wochen schon getroffenen Vorbereitungen für die Stunde des Ausbruchs. Im Gelände mit seinen vielen natürlichen Bodenwellen und vereinzelten Sträuchern zwischen Baumstümpfen lagen Bretter, Bohlen und einige alte ausrangierte Türen: vergessene Bauhölzer und Gerümpel. Niemand kümmerte sich darum, und niemand ahnte den heimlichen Zweck des wie zufällig liegengelassenen Holzes: künftige Laufstege über die spanischen Reiter der neutralen Zone …
In den Blocks hielten sich die Widerstandsgruppen befehlsbereit. – Plötzlich jagte Motorengebrumm die Häftlinge aus den Blocks. Zu Tausenden standen sie auf den Wegen und starrten zum Himmel hinauf. Da waren sie wieder,die amerikanischen Bomber. Zwei, drei, vier … Sie zogen ihre Kreise über dem Lager und bogen nach Westen ab, in Richtung Weimar. – Wieder gab es keinen Alarm. Später waren Detonationen in der Ferne zu hören. Fielen in Weimar Bomben? Der Kampflärm verstärkte sich. Dumpf und wild rollten die Abschüsse.
Krämer hielt sich mit Bochow und einigen Führern der Gruppen in dessen kleinem Raum auf. Mit
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