Nackt unter Wölfen
unerhörter Anspannung der Nerven lauschten sie auf das Getöse. – Täuschte der Kampflärm nur Nähe vor? – Die Totenstarre rings um das Lager war unheimlich und unerträglich. Die Männer sprachen kein Wort miteinander. Sie starrten über den leeren Appellplatz. Auf den Türmen standen die Posten, steif und still. Auf dem Hauptturm über dem Tor waren die Panzerfäuste zu erkennen. Die Läufe der Maschinengewehre ringsum auf den anderen Türmen lauerten auf den Daumendruck. Und alles war reglos, starr, unheimlich …
Bochow sah bleich aus. Er konnte es nicht mehr ertragen. Schroff wandte er sich vom Fenster weg und lief hin und her. Ein Führer der deutschen Gruppen hielt es ebenfalls nicht mehr aus, er schlug mit der Faust auf die Fensterbank. »Verflucht! – Es muss doch was passieren.«
Krämer brummte.
Bochow blieb stehen und lauschte gespannt. Deutlich waren die Abschüsse zu vernehmen.
{Plötzlich sprang einer der Führer auf und wies nach einer Richtung am Zaun. »Da!«
SS, kompaniestark, in voller Ausrüstung, rannte im Eilmarsch den Zaun entlang. Bochow stürzte hinaus. Die anderen folgten. Zwischen den Baracken standen die Häftlinge und sahen der davonjagenden SS nach. Ihr plötzliches Erscheinen und Verschwinden war wie ein aufgescheuchter Windstoß. Wieder versank rings um das Lager alles in die unerträglicheStarre. Nur das Rollen, Donnern und Knattern war zu hören. Nah, nah, verflucht, so nah …}
Auf einmal, etwa um die zehnte Morgenstunde, wurde die ereignislose Stille durch Reineboths Stimme zerrissen.
»Der Lagerälteste und sämtliche Blockältesten sofort zum Tor!«
Die Häftlinge wimmelten durcheinander, riefen, schrien! Vor der Schreibstube sammelten sich die noch übriggebliebenen Blockältesten, bleiche Erregung auf den Gesichtern. Krämer kam aus seinem Raum.
»Gehen wir …«
Oben am Tor standen sie dann eine Weile. In den Seitengängen der Blocks starrten die Häftlinge nach dem Tor. Der diensttuende Blockführer öffnete die schmiedeeiserne Tür, Reineboth kam. Nur er, niemand sonst mit ihm. Ein sonderbar verkrampftes Lächeln um die Mundwinkel.
Krämer trat ihm entgegen, meldete. Reineboth ließ sich Zeit. Umständlich zog er die schweinsledernen Handschuhe über und strich sie an den Fingern glatt. Legte die Hände auf den Rücken, lauschte interessiert in die Richtung des Geschützdonners, blickte über die strammen Reihen der Blockältesten hinweg und sagte endlich: »Meine Herren …«, er lächelte voller Zynismus, »wir müssen gehen. – Bis 12 Uhr muss das Lager leer sein.«
Er fasste Krämer am Knopf seines Rockes. »Bis 12 Uhr! Haben Sie mich verstanden, Herr General? Pünktlich auf die Minute steht das Lager. Marschbereit, sonst …« Mit dem Finger schnippte Reineboth elegant gegen den Knopf und ging durch das Tor zurück. –
Während Krämer mit den Blockältesten ins Lager zurückmarschierte, jagten sich in seinem Kopf die Kombinationen. Die Front war da! Stunden der Verzögerung konnten das Leben retten. Reineboths schnippender Finger aber signalisierte Gefahr. Eine viel größere Gefahr als allebisherigen … Zwischen dieser und der Hoffnung, die mit dem Geschützdonner über das Lager rollte, galt es zu wählen. –
Vor der Schreibstube wurden die Blockältesten von den Häftlingen umringt. Im Nu jagte die Neuigkeit durchs Lager. »Um 12 Uhr wird das ganze Lager evakuiert!«
Alles schrie durcheinander. »Wir gehen nicht! Wir gehen nicht! Wir gehen nicht!«
Bochow blieb bei Krämer.
»Und nun? Was nun? Alarmstufe drei?«
Bochow zerrte sich die Mütze vom Kopf und fuhr sich mit den Händen über den Schädel. Die Entscheidung war schwer, schwer …
Alarmstufe drei? – Noch nicht, nein, noch nicht! Abwarten. –
Höher stieg die Sonne. Der blaue Himmel zärtelte mit der milden Luft, und das Licht des Frühlings machte Nähe und Ferne schön. –
Menschenleer war das Lager, wie ausgestorben. Auf weichen Raubtiertatzen umschlich die Stille die Blocks. Drinnen saßen die Häftlinge, schweigend und wartend.
Viele von ihnen waren marschfertig. Auf den Latrinen standen Gruppen zusammen. Eine Zigarette ging unter ihnen von Mann zu Mann …
Auf Block 17 hatten sich die Führer der Widerstandsgruppen versammelt, während die Genossen des ILK bei Krämer waren. Die Mitglieder der Gruppen saßen in den Blocks, verteilt unter die Häftlinge, mit ihnen schweigend und wartend …
An den geheimsten Orten des Lagers hockten Angehörige des
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