Nackt unter Wölfen
seinem Gesicht verriet nichts, welche Gedanken schon durch sein Gehirn fegten: sechzehn gute Kumpels außerhalb der Postenkette … Kluttig stieß sich heftig von der Wand ab, baute sich vor Krämer auf und keifte ihn an: »Die Häftlinge gehen ohne Posten, verstanden?«
Nur schwer konnte er seine Erregung verbergen und zischte hinter zusammengepressten Zähnen hervor: »Machen Sie sich aber keine Illusionen, wir passen auf.« Er wusste selbst nicht, wie dieses Aufpassen vor sich gehen sollte. Sie blickten sich stumm an. Krämer fing den kalten Hass, der aus Kluttig stach, mit ruhigem Auge ab. Plötzlich überkam ihn eine triumphierende Sicherheit. Hinter diesem Hass in denfarblosen, rotumränderten Augen sah er die Angst, die nackte Angst. Kluttig geriet immer mehr in Wut, doch Krämer war nicht so ruhig, wie es schien. Hinter seiner Stirn jagten sich die Kombinationen. Reineboth schien zu befürchten, dass Kluttig jeden Augenblick die Beherrschung verlieren würde, das versuchte er zu verhindern.
»Morgen früh bringen Sie die sechzehn Vögel zu mir.« Krämer, von Reineboth im Rücken angesprochen, drehte sich zu diesem um, antwortete: »Jawohl.«
»Sie werden geschmückt mit Verbandskästen, Gasmasken und Stahlhelmen.«
{In Krämer arbeitete es.}
»Jawohl.«
Der Jüngling kam mit schlendernden Schritten auf Krämer zu und fasste ihn vor der Brust. »Wenn einer von den Vögeln davonfliegen sollte …« Hinterhältig lächelnd fügte Reineboth mit gefährlicher Liebenswürdigkeit hinzu: »Dann halten wir uns schadlos.«
Ehe Krämer antworten konnte, stand Kluttig vor ihm und knarrte ihn einschüchternd an: »Am ganzen Lager!«
»Jawohl.« Krämers ständiges Wort des Gehorsams gab Kluttig keinerlei Angriffsfläche, er keifte: »Ob Sie das kapiert haben, will ich wissen.«
»Jawohl.«
Kluttig wollte losbrechen, aber Krämers Gelassenheit erstickte alles in ihm, er brachte nur ein gekrächztes: »Wegtreten!« hervor. Doch als Krämer zur Tür ging, verlor Kluttig die Beherrschung, er schrie ihm nach: »Hierbleiben!«, und ging, als Krämer sich verwundert umdrehte, auf ihn zu, trat ganz nah an ihn heran, fragte hinterhältig: »Sie waren doch mal Funktionär?«
Krämer dachte schnell: Was will er? und antwortete: »Jawohl.«
»Kommunistischer?«
»Jawohl.« Krämers Freimütigkeit machte Kluttig schlingern. »Und das sagen Sie mir so, so …« Um Krämers Mund huschte ein kaum merkliches Lächeln. »Deshalb bin ich doch hier …«
»Nein!«, entgegnete Kluttig scharf, er hatte sich wieder gefangen. »Sie sind hier, damit Sie keine Verschwörerbande aufziehen können, keine Geheimorganisationen, wie Sie es hier im Lager machen!« Kluttig bohrte seinen Blick in Krämers Augen. Hinter Kluttig stand der Jüngling, den Daumen hinter die Knopfleiste der Uniformjacke geschoben, und wiegte sich in den Knien.
Geheimorganisation? Krämer hielt dem bohrenden Blick stand. Wussten sie etwas? Sofort wurde ihm klar, dass Kluttig nur auf den Busch geklopft hatte. So also ist es, dachte Krämer, ihr seht in mir den Organisator! Da seid ihr schiefgewickelt. Er hatte das Gefühl, als ob er mit seinem breiten Rücken schützend vor Bochow stand, ruhig entgegnete er: »Die Organisation, Herr Hauptsturmführer, haben Sie doch selbst ins Leben gerufen.« Maßlos verblüfft brachte Kluttig nur ein gedehntes »Wa-aas?« hervor, und Reineboth trat um einen Schritt näher. »Ach nee.«
Krämer erkannte den Vorteil seines kühnen Vorstoßes und festigte ihn. »Sie ist durchaus keine geheime. Das Lager befindet sich {seit Jahren} in Selbstverwaltung der Häftlinge, und wir führen alle Befehle der Lagerführung strikt durch.«
Kluttig sah Reineboth hilfesuchend an, der lächelte hämisch, und es schien, als ob er sich über ihn amüsiere, das brachte Kluttig auf, und er belferte auf Krämer ein. »Jawohl! Und Sie haben selbstverständlich alle Posten mit Ihren Leuten besetzt.«
»Der Befehl der Lagerführung lautete, anständige und gewissenhafte Häftlinge mit der Verwaltung zu betrauen.« – »Kommunisten, nicht wahr?« Krämer parierte unerschrocken:»Jeder einzelne Häftling wurde der Lagerführung gemeldet und vorgestellt und von ihr bestätigt.« Kluttig kam Krämer nicht bei, wütend stiefelte er durchs Zimmer und keifte: »Halunken, Gesindel, Verbrecher sind sie alle!«
Krämer stand reglos und ließ Kluttigs Wut schweigend an sich abfallen. Der trat wieder an ihn heran und fuchtelte mit den Händen: »Wir wissen
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