Nackt unter Wölfen
der kommende Augenblick ein glücklicher war oder … Die Stablampe brauchte nur lässig zur Seite zu schwenken, und Höfel war entdeckt. Doch Zweiling richtete den Lichtschlitz auf die Klinke der Tür.
Höfel presste die Luft in die Lungen zurück und lauschte den abrasenden Sekunden nach. Sie blieben ohne Ereignis!
In tiefer Erleichterung hörte Höfel, wie die Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Von außen lärmte der Schlüssel im Schloss, und es schnappte zweimal. Schritte knirschten davon.
Höfel hob den Kopf. Ihm wurde bewusst, dass er in diesen Sekunden rasend schnell gedacht hatte. Aber es war nicht Zeit, sich zu erinnern. Er richtete sich auf. –
In der Nische unter der Steintreppe hielten die beiden denAtem an und drückten sich noch flacher an die Mauer. Ganz nah ging Zweiling an ihnen vorbei. Sein Ledermantel glänzte, und der hochgeschlagene Kragen stieß an den Mützenrand.
Mit seinen langen Beinen, deren Knie sich niemals durchdrückten, stakte er den bergan steigenden Weg hinauf, und die hagere, nach vorn gekrümmte Gestalt verwischte schemenhaft im Regen und Dunkel. –
Jetzt ging alles so, wie sie es in der Zeit zwischen dem ihren und dem Appell des Lagers besprochen und vorbereitet hatten.
Pippig und Kropinski schlichen sich an der Fassade des Kammergebäudes entlang. Zu ebener Erde befanden sich die Lichtschächte der vielen Fenster des unterirdischen Kellers. In den letzten von ihnen ließen sie sich lautlos hinabgleiten. Ein paarmal sanft gegen das Fenster gewippt, und die Flügel öffneten sich. Die beiden schlüpften durch. –
Zur gleichen Zeit befand sich Höfel im ersten Stockwerk. Er hatte alles genau durchdacht. Während er blitzschnell vom Dach des Verbindungsgebäudes in die Effektenkammer gelangen musste, konnte das Kind auf dem gleichen Wege nicht befördert werden. Der Vorgang hätte zu viel Zeit in Anspruch genommen, und die Gefahr der Entdeckung war zu groß.
Höfel öffnete das Fenster des Treppenflurs und horchte ins Dunkel hinein. In der Spannung des Augenblicks spürte er, wie hellwach er war. Das tat gut. Haarscharf konstruierte er den Ablauf des Kommenden. Erst einmal warten und lauschen. Zwei, drei Augenblicke lang, bis er das sichere Gefühl hatte, dass nichts, aber auch gar nichts im nahen Umkreis war. Kein Häftling, kein SS-Mann, der vielleicht gerade in dieser Minute irgendwo aus dem Lager ging. Dort hinten war der Zaun, im Dunkel nicht zu sehen, nur die verschwiegenen roten Pünktchen verrieten ihn. Der Giebelwand gegenüberstand ein Wachturm. Er machte Höfel keine Sorge. Zwischen diesem und dem Kammergebäude war das Bad, und das deckte die Sicht. Der nächste Turm befand sich in 25 Meter Entfernung. Das war schon gefährlicher. Aber auch diesen Gefahrenpunkt hatte Höfel immer wieder durchdacht. Der Posten hätte in diesem Regendunkel schon eine geraume Weile auf einen bestimmten Punkt zu starren, um etwas wahrzunehmen. Es gab keinen Grund zur Annahme, dass ein Posten gerade in dem Augenblick, als sich Höfel vom Dach aus ins obere Fenster schwingen musste, den Punkt fixieren würde. Gewiss, man konnte auch Pech haben. Dann leuchtete die Suchlampe auf, und … aus war es. –
{Der Arsch} wurde jedoch bereits für weniger wichtige Sachen riskiert, und etwas Dusel gehörte immer dazu. Also los, André! Lautlos kroch Höfel aufs Dach des Verbindungsgebäudes, blieb platt liegen, horchte um sich. – Nichts.
Vorsichtig rutschte er an die Giebelwand der Effektenkammer, zog sich kauernd zusammen. – Mit dem ersten Sprung bereits musste er den Sims über sich erwischen.
Höfel hockte sich hin wie ein Läufer am Start, Bewusstsein und Willen auf einen Punkt konzentriert, dann schnellte er hoch, mit aller Kraft. Die Hände griffen, hielten fest, er hing! Doch der Klimmzug ging viel langsamer und mühseliger vonstatten als in der Vorstellung. In Bruchteilen von Sekunden hatte Höfel das Gefühl, in helles Licht getaucht und allen sichtbar zu sein. Angst schoss plötzlich in ihm auf, heiß und schneidend. Aber sie verteilte sich sofort als zähe Kraft in den Muskeln. So zog er sich hoch. Mit der Stirn drückte er gegen den Fensterrahmen, hatte das Gefühl, sich von der Wand, an der er klebte, abzudrücken und zu stürzen. Völlig unvorbereitet ließ er eine Hand los, presste die Flügel auseinander, als wäre es das Selbstverständlichste, und schon klammerte sich die Hand am Fensterrahmen fest. Ein Schwung noch, und Höfel war drinnen. Schnell
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