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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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hinein. Untrüglich hätte er den Schritt eines Scharführers von dem eines Häftlings unterschieden. Der eine Schritt in schweren festen Stiefeln war knirschend und sicher, der andere, in unbequemen Holzschuhen, noch dazu in diesem hässlichen Regen, war klappernd und eilend. Kropinski lauschte. Nichts war in der Nähe. Schnell lief er zurück und holte Pippig. Sie gingen gemeinsam bis zu der Stelle, an welcher Kropinski eben gestanden hatte. Hier blieb Pippig im Schutz einer dunklen Baracke stehen, und Kropinski ging weitere zwanzig Meter voraus. So lotste er Pippig an den Baracken entlang, die Zwischenwege überquerend, bis in die Nähe des Kleinen Lagers. Das letzte Stück des Weges war das unsicherste. Aus den schützenden Blockreihen heraus mussten sie ein beträchtliches Stück auf dem breiten Weg, der zum Revier führte, zurücklegen, ehe sie seitwärts abbiegen konnten. Hier gingen, wenn auch infolge des Regens in geringerer Zahl als sonst, Häftlinge zur Ambulanz.Im Schutz einer Baracke beobachteten die beiden den Weg. Es waren nur noch wenige Häftlinge unterwegs, ein Zeichen dafür, dass bald abgepfiffen wurde. Mancher von ihnen hatte sich zum Schutz vor dem Regen den dünnen Zebramantel oder einen Sackfetzen über den Kopf gehängt.
    »Wollen wir, Marian?«, fragte Pippig.
    »Werden eben brauchen Glück«, meinte der Pole.
    »Da, an die drei dort hängen wir uns an. Los.«
    Schon sprang Pippig auf den Weg. Kropinski ihm nach. Sie hielten sich hinter drei Häftlingen, die zum Revier gingen. Zwei von ihnen hatten sich gegen den Regen vermummt. Kaum waren sie einige Schritte gegangen, als Kropinski Pippig am Arm packte. »SS!«
    Tatsächlich kamen ihnen in einiger Entfernung zwei Scharführer entgegen. Pippig erschrak nicht weniger als Kropinski, doch seine im Lager erworbene Geistesgegenwart ließ ihn in Sekundenschnelle reagieren. Noch ehe die Scharführer nah genug heran waren, hatte sich Pippig den Sack auf die Schulter gehoben und sich den überhängenden Teil desselben über den Kopf geworfen. Er fühlte, wie sich der Körper des Kindes an den seinen drückte und die Händchen unter dem Sack versuchten, sich anzuklammern. Als gleichsam Vermummter dirigierte er sich geschickt an den Scharführern vorbei, die drei Häftlinge als Deckung benutzend. Die Scharführer hatten den Vorgang nicht bemerkt, sie stapften verdrießlich den regennassen Weg hinauf.
    Endlich konnten sie nach dem Kleinen Lager abbiegen, hinter dessen Stacheldraht waren sie in Sicherheit. Hierher kam keine SS. Die Baracke 61 war einer jener fensterlosen Pferdeställe. Ein entsetzlicher Geruch schlug den beiden entgegen, als sie den düsteren Raum betraten, der von ein paar armseligen Glühbirnen notdürftig erhellt wurde. Die ganze Fläche der Baracke war mit Strohsäcken belegt. Zidkowski und seine Helfer mussten haushalten mit dem kargenRaum und jedes Fleckchen ausnutzen, um alle Kranken unterzubringen. Die Sterbenden lagen auf den Strohsäcken. Es war weniger umständlich, einen Toten von ebener Erde nach draußen zu tragen, als ihn aus einem Fach der dreifach gestaffelten Holzgestelle zu zerren, die sich längs der Wände hinzogen. {Die rationelle Aufteilung der einzelnen Kategorien gebot es, dass die »leichteren« Fälle in den Fächern untergebracht waren. Die Vergabe der wenigen Strohsäcke war nicht so sinnvoll vorgenommen worden. Zweifellos hätten ihrer die »leichteren« Fälle} dringender bedurft als die Sterbenden, die ohnehin nicht mehr lange mitmachten. Doch diese lagen ausnahmslos auf dem weichen Lager. Hier hatte nicht das vernünftige Denken, sondern das unvernünftige menschliche Gefühl entschieden, und die »leichteren« Fälle lagen deshalb auf blanken Brettern, mit einer zerschlissenen Decke oder einem alten Zebramantel gegen die Kälte geschützt. –
    Stumpf und starr lagen die Kranken, die »leichten« und die sterbenden, denen der Tod voreilig die Züge geprägt hatte, und das Leben war nur noch in einem kindhaften Wimmern oder in einem rasselnden Atemzug vernehmbar.
    Pippig und Kropinski hasteten durch den schmalen Gang, den die Strohsäcke eben noch frei ließen, nach vorn. Ein polnischer Pfleger trat aus einem Verschlag und sah ihnen entgegen. Mit ihm verschwanden die beiden hinter dem Verschlag. Zidkowski war auf ihr Kommen vorbereitet. Er half Pippig, den Kleinen aus dem Sack zu befreien, nahm das Kind mit väterlichen Händen hoch und setzte es behutsam auf die Bettstatt. Alle Männer standen um das

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