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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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während der Mittagspause, da saßen sie alle im Kasino. Lange drückte sich Zweiling im Kasino herum, aber Reineboth kam nicht.}
    Für den Rest des Nachmittags saß Zweiling grübelnd in seinem Zimmer. Nach dem Abendappell schwang sich Reineboth gewöhnlich auf sein Motorrad und fuhr zu seinem Liebchen nach Weimar hinunter. Um den Zettel loszuwerden, blieb Zweiling nichts übrig, als den Appell vorbeizulassen und abzuwarten, bis Reineboth das Lager verlassen hatte.
    War es überhaupt richtig mit dem verdammten Zettel?
    Die Angst, die Hortense ihm eingejagt hatte, saß ihm noch immer lähmend in den Gliedern. Solange er bei der SS war, hatte er es nie nötig gehabt, sich über seine Zukunft Gedanken zu machen. Seine Zugehörigkeit zum Totenkopfverband und zur Lager-SS hatte ihn bisher aller Mühe des Lebens enthoben. Erst seit der gestrigen Auseinandersetzung mit Hortense sah er das Ende des Lagers erschreckend nah vor sich, es ließ sich nicht mehr in eine bequeme Ferne schieben. An seinen möglichen Tod dachte Zweiling nicht, dazu war er zuträge. Während er durch das Fenster in stumpfer Langeweile die Häftlinge betrachtete, die im Kleiderraum beschäftigt waren, schwelten die Gedanken in ihm. Was wurde aus ihm?
    »Soll ich dich etwa ernähren? Gelernt haste nischt, gar nischt …« Das zupfte ihn immer wieder, und die Unbequemlichkeit eines Lebens in ungewisser Zukunft machte ihn verdrießlich. Dass es aber auch so schiefgehen musste mit dem Krieg!
    Bis jetzt hatte Zweiling sein Auskommen gehabt. Auf einmal sollte das nicht mehr so weitergehen? Der Führer hatte sich verkalkuliert. Führer? – Scheiße! An diesen dachte Zweiling im Augenblick wie an einen völlig Fremden und Unerreichbaren, der irgendwo in einem sicheren Bunker saß, bombensicher! {Für den stand eines Tages ein Flugzeug bereit.}
    Zweiling fühlte sich alleingelassen. Der Lagerkommandant beachtete ihn kaum. Und die anderen? Kluttig? Reineboth? Sie taten nur schön mit ihm, wenn es bei ihm etwas abzukochen gab. Ein goldenes Zigarettenetui von einem Juden, einen Brillantring, einen goldenen Füllhalter … Kamerad Hauptscharführer … und auf die Schulter geklopft. –
    Kamerad? Zweiling lachte sich selbst den Hohn zu, mit dem diese »Herren Kameraden« ihn bedenken würden, wenn er eines Tages ihre Hilfe notwendig hatte. Die allgemeine Angst wurde plötzlich zur Angst vor Kluttig und Reineboth. Diese ließen ihn unweigerlich hopsgehen, wenn es mit dem Judenbalg herauskommen würde. –
    Höfel war an die lange Tafel getreten und unterhielt sich mit den Häftlingen. Feindselig sah Zweiling durchs Fenster. Die Angst in ihm verfärbte sich zum Hass auf den Sauhund da draußen, der ihm die Schweinerei mit dem Judenbalg eingebrockt hatte. Dem habe ich’s zu danken, dachte Zweiling, über den Rost lasse ich dich gehen, du Aas! –
    »Mach die Luke dicht, du sabberst wieder …«
    Hortense hatte sich diese Redensart angewöhnt, weil sie Zweilings ewig offenen Mund nicht leiden mochte.
    Als hätte sie es eben wieder gesagt, schreckte Zweiling aus seinem Grübeln auf, klappte ertappt den Mund zu, erhob sich, stakte zur Tür, öffnete:
    »Höfel!«
    Der Angerufene blickte hoch und folgte Zweiling ins Zimmer nach. Sooft sie sich gegenüberstanden, war etwas zwischen ihnen, das geflissentlich ignoriert werden musste, die Sache mit dem Kind! Sie lauerte nur als gefährliches Wissen hinter den Stirnen, und Höfel wartete stets mit einer gewissen Spannung auf das, was Zweiling ihm zu sagen hatte. Ruhig und mit geradem Blick sah er den Scharführer an. Dieser streckte hinter dem Schreibtisch die langen Beine aus.
    »Heute kommt kein Transport mehr. Nach dem Appell schert ihr euch alle auf eure Blocks.«
    Was bedeutete das?
    »Es passt euch wohl nicht mal, wenn ihr zeitig Feierabend habt?« Leutselig sollte es klingen.
    »Wir haben noch sehr viel zu tun.«
    Zweiling winkte ab. »Morgen. Für heute ist Schluss. – Ist sowieso bald Schluss«, fügte er hinzu.
    »Wie meinen Sie das, Hauptscharführer?«, stellte Höfel sich naiv.
    »Tun Sie nicht so«, entgegnete Zweiling mit gemachter Vertraulichkeit. »Wir zwei wissen doch Bescheid …«
    Sie maßen sich mit Blicken.
    »Lassen Sie zum Zählen antreten. Den Schlüssel nehme ich heute selber mit.«
    Als Höfel das Zimmer verließ, meinte er Zweilings lauernden Blick im Rücken zu spüren. Ein kurzes Zwinkern der Verständigung zu Pippig, der an der Tafel gestanden und den Vorgang argwöhnisch beobachtet hatte,

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