Nackt unter Wölfen
fast unterwürfig. Kluttig hatte sich erhoben. »Sie wissen nun«, sagte er eindringlich, »worum es geht.«
Mandrak schob die Hände langsam in die Hosentaschen und fragte mit leiser Stimme:
»Was soll ich mit ihnen machen?«
Reineboth trommelte mit den Fingern. »Hätscheln, Mandrill, hätscheln«, sagte er zynisch.
Mandrak warf aus den Augenwinkeln einen Blick auf Reineboth, um seinen Mund huschte so etwas wie ein Grinsen. Er mochte es gern, »Mandrill« genannt zu werden. Dieser furchtbare Name hatte in seiner Unheimlichkeit etwas Urwaldhaftesund Schreckenerregendes, das Mandrak mit Behagen genoss. Er sprach nicht viel und fragte noch weniger. Und als Kluttig ängstlich dazwischenfuhr: »Nein, Mandrill, lassen Sie die beiden vorläufig in Ruhe, wir sprechen noch darüber«, wandte der Mandrill langsam den Kopf zum Lagerführer und nickte nur stumm. Er verließ das Zimmer, und es war ihm anscheinend unbequem, die Hand aus der Tasche zu ziehen, um die Klinke niederzudrücken. Draußen stieß er die Tür mit dem Fuß zu. Er schlenderte nach dem Bunkerflügel hinüber. Der langgestreckte, kaum zwei Meter breite Gang lag ständig im Halbdunkel. Einige nackte Glühbirnen an der Decke verstärkten mit ihrem trüben Schein das Zwielicht. Der Gang war durch eine starke Gittertür gesichert, und am hinteren Ende des Ganges war ein kleines vergittertes Fenster angebracht. Hinter den massiven, eisenbeschlagenen Holztüren der Zellen regte sich nichts. Sie lagen beiderseits des Ganges starr und steif wie Totenkammern. Als einziges lebendes Wesen huschte der Bunkerkalfaktor Förste durch den Gang.
Der Mandrill trat an die Zelle Nummer 5 und schob den Verschluss des Spions beiseite. Eine ganze Weile blickte er durch das Loch. Die Bunkerzelle war vollkommen leer, kein Möbelstück, weder Tisch noch Stuhl, kein Strohsack und keine Decke befanden sich in ihr. Sie war ein viereckiger Kasten. Zwei Meter lang, drei Meter hoch und knapp anderthalb Meter breit. Als einziges Inventar war oben an der nackten Decke eine vergitterte Glühbirne angebracht. An der Stirnwand der Zelle befand sich ein kleines, stark vergittertes Fenster. Der Mandrill schloss die Zelle auf. Höfel und Kropinski nahmen die übliche militärische Haltung ein. Wortlos packte der Mandrill Kropinski an der Brust und zerrte ihn nach vorn, mit dem Gesicht zur Tür. Dasselbe machte er mit Höfel, den er ein wenig seitlich vor Kropinski aufstellte. Er kontrollierte Haltung und Position der Arrestantenund trat beiden gegen die Kniescheiben. »Strammstehen«, sagte er finster. »Wer sich rührt, kriegt Prügel, bis er lacht.« Er verließ die Zelle und winkte Förste zu sich.
»Kein Fressen.«
Förste nahm den Befehl in strammer Haltung entgegen.
Höfel und Kropinski standen reglos lauschend, wie erschreckte Tiere. Gebannt starrten sie auf die Tür der Zelle und warteten auf Ungeheuerliches, das sich jeden Augenblick ereignen konnte. Ihre Gedanken waren erstarrt, und nur der Gehörsinn war hellwach. Sie lauschten auf die Lagergeräusche, die vom Tor auf sie eindrangen. Da draußen ging alles weiter im gewohnten Gang. Wie verwunderlich das war …
Der diensttuende Blockführer schnauzte am Tor herum, Holzschuhe klapperten, eilig und ängstlich. – Im Lautsprecher knackte das eingeschaltete Mikrophon, der Strom summte, eine Stimme rief nach dem Kapo der Arbeitsstatistik. Nach einer Weile bat eine andere Stimme irgendeinen Obersturmführer zum Kommandanten. Dann klappert ein ganzes Rudel von Holzschuhen durchs Tor, es klingt wie Pferdegetrappel. Der Blockführer schimpft, schnauzt, schreit. Höfel wird aufmerksam. Die vereiste Starre löst sich, die Gedanken tauen auf. Er hört in das geschäftige Lärmen des Lagertages hinein, das, sonst nie beachtet, jetzt in seine Ohren hineinschreit wie das erschreckte Klingeln einer Straßenbahn. Verrückte Gedanken durchgeistern ihn. Du bist doch im Konzentrationslager! Was ist das eigentlich? Plötzlich entdeckt er, dass er die wirkliche Welt, das Leben draußen, vergessen hat. Über den Stacheldraht hinaus konnte er weder denken noch fühlen. Das einzig Wirkliche und Begreifliche ist das stumpfe Gebrüll des Blockführers, das ewige Geschrei, Gestampf und Geklapper. Im Augenblick des gespannten Hinhörens wird Höfel auch diese Wirklichkeit geisterhaft und gespenstisch. Auf einmal denkt er ganz klar: Das ist doch alles gar nicht echt, das ist doch nur ein Spuk!
Wie aus weiter Ferne in diese gespenstische Wirklichkeit
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