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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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unauffällig. Durch die Häftlinge hatten sie nichts zu befürchten, und in der Desinfektion waren sie ungestört. Sie hielten sich an einem hohen Haufen zusammengeworfener Kleidungsstücke auf, von dem aus sie den Eingang beobachten konnten. Bogorski hatte von der Verhaftung bereits erfahren.
    »Wenn sie Höfel da oben weichmachen … Wenn er nicht durchhält.«
    Stumm sahen sich die beiden an. Bogorski hob ein wenig die Arme, eine andere Antwort hatte er nicht. Über die ungeheure Gefahr wagten sie kaum zu sprechen. Dunkel und schwer schob sie sich zusammen und türmte sich auf wie ein Berg. Sie empfanden ihre Wehrlosigkeit. Was konnten sie tun, wenn Höfel auch nur einen einzigen Namen angab …
    Dann rollte die Kette ab! Und sie riss alle in die Tiefe. Sogut getarnt der Apparat auch war, so bestand er doch aus Menschen, entschlossenen zwar und allen Gefahren trotzenden Menschen. Und dennoch, da oben in den einsamen Zellen des Bunkers galten andere Gesetze. Hier war der Mensch ganz mit sich allein, und wer wusste von sich, ob er unter den körperlichen und seelischen Foltern wahrhaft eisenhart blieb oder zu erbarmungsvoller Kreatur zusammenschrumpfte, zu einem zusammengeschlagenen Bündel Mensch, in dem, angesichts der Qualen und eines sicheren und martervollen Todes, die nackte Lebensangst zuletzt nicht doch stärker war als aller Wille und aller Mut? Jeder Einzelne hatte den Schwur gegeben, eher zu sterben, als Verrat zu begehen. Aber zwischen Schwur und Bewährung lagen viele Stationen der unbekannten menschlichen Natur.
    Schon in dieser Minute konnte Höfel zusammengeschlagen in seiner Zelle liegen, mit bebender Seele an Frau und Kinder denken, schwach werden und nur einen einzigen Namen nennen, einen Namen, von dem er glaubte, dass er weniger wichtig sei. Dann rollte die furchtbare Kette. –
    Welches einzelne von den tausend Mitgliedern der Widerstandsgruppen insgesamt wusste von sich, ob es da oben stark genug war, bis zum Letzten standzuhalten?
    »Das kann einen Erdrutsch geben …«, flüsterte Bochow.
    Bogorski riss seinen Blick aus der Leere heraus, in die er ihn gesenkt hatte. Er lächelte matt, gleichsam das Gewirr der unruhigen Gedanken hinter sich lassend und die Schwächen des Augenblicks überwindend.
    »Was wird sein«, sagte er leise, »noch wir gar nichts wissen. {Kann bleiben Gefahr nur bei kleines Kind. Kann bleiben Höfel tapfer und Kropinski tapfer …}«
    Bochows Gesicht wurde finster.
    »Wir müssen haben Vertrauen zu Höfel«, sagte Bogorski.
    »Vertrauen, Vertrauen!{«, entgegnete Bochow ungehalten. »}Weißt du so sicher, ob er durchhalten wird?«
    Bogorski zog die Brauen hoch.
    »Ob du es wissen von mir? Oder von dir? Oder von anderen?«
    Mit unwilliger Hand wischte Bochow die harten Fragen hinweg.
    »Natürlich weiß es keiner von sich. Gerade darum hätte Höfel sich nicht in die Geschichte mit dem Kind einlassen sollen. Von allem Anfang an nicht. Na, und was ist nun? Erst versteckt er das Kind bei sich, dann begeht er einen großen Disziplinbruch, jetzt sitzt er im Bunker und … und …«
    »Und du haben auch gemacht Fehler mit Kind.«
    »Ich?«, fuhr Bochow auf. »Was habe ich damit zu tun?«
    »Du sagen, es ist nicht Sache von mir, es ist Sache von Höfel.«
    »Na und?«, verteidigte sich Bochow. »Habe ich nicht Höfel die Anweisung gegeben, das Kind aus dem Lager zu schaffen?«
    »Wer haben das gesagt? Haben das gesagt auch dein Herz?«
    Bochow hob entsetzt die Hände.
    »Um Gottes willen, Leonid, wohinaus willst du? Ist es nicht genug, dass sich Höfel vom Herzen hat irreleiten lassen? Und nun verlangst du von mir …«
    »Nix gutt, gar nix gutt!« Bogorski zog unwillig die Stirn in Falten. »Weil du haben gemacht Fehler mit Kopf, musste machen Höfel Fehler mit Herzen. Waren beide allein, Kopf von dir und Herz von André. Nix gutt.«
    Bochow gab keine Erwiderung. Gefühlsbetonte Erwägungen lagen ihm nicht. Ärgerlich warf er ein paar der mitgebrachten Klamotten auf den Haufen und hörte Bogorski missmutig zu, der ihm Vorhaltungen machte.
    Er habe einfach befohlen und angeordnet, und er habe Höfel in seiner Herzensnot alleingelassen. Statt ihm zu helfen, habe er ihn fortgeschickt. »Du musst geben Kind zurück an Polen. Basta! Aus!«
    Bochow schlug wütend die Faust auf den Lumpenberg. »Was hätte ich sonst tun sollen?« Bogorski zog den Kopf zwischen die Schultern. »Ich nicht wissen …«, sagte er.
    »Na also«, trumpfte Bochow auf. Bogorski blieb gleichmütig.

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