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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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betrat die Küche. «Welche Sorte Unrat hat denn unsere kleine Jüdin hinterlassen?»
    Es haute mich um, dass sie diesen Ausdruck verwendete. Ähnlich wie das Wort Negerin klang es moderig, klinisch. Sie spie das Wort aus, als wäre es ein Wurm, der unter ihrer Zunge genistet hatte. «Man kauft ein Gebäude, und bis die alten Mieter ausziehen, sind einem die Hände praktisch gebunden. Glück gehabt, dass unsere fette kleine Jüdin als erste gegangen ist. Sie war ein kleines Persönchen mit einem Arsch wie ein Knautschsessel, und, allmächtiger Christus, was für eine Schlampe. Ich hab die Wohnung gestern erst mal absprühen lassen, damit wir was haben, worauf wir aufbauen können.» Sie sah eine Kakerlake, die im Spülstein bibberte, und klatschte sie mit der Handfläche platt. «Einen Riesenarsch hatte das Mädchen, enorm. Aber das kommt eben davon, wenn man auf dem Hintern sitzt und erwartet, dass die Welt einem einen Gefallen tut.»
    Juden und Jüdinnen waren Uta ein spitzer Dorn im Auge. Sie versuchte es mir einmal zu erklären, aber ich hatte Mühe, der Geschichte zu folgen, nachdem ich die Jahreszahl 1527 gehört hatte. Laut Uta wurde Adolf Hitler total missverstanden, «wie oft die meisten großen Denker». Sie sprach ausführlich über eine Verschwörung zwischen den Juden und Stalin, die aus den verschiedensten Gründen ein Auge auf ihre Heimat Litauen geworfen hatten. Die Kommunisten wollten das Land, um die unabhängige, schwer arbeitende Bevölkerung zu versklaven. Die Juden wollten es wegen der vielen Wälder, die sie zu Papier verarbeiten wollten, um sich damit die fetten Ärsche abzuwischen. Uta verachtete diese Juden und machte sie für alles verantwortlich, vom Verkehrschaos bis hin zum kostspieligen Kabelfernsehen.
    Sie führte mich durch die Wohnung, die groß und hell war und hübsche kleine Besonderheiten wie Einbauschränkchen und zwei echte Kamine aufwies. Die Holzteile waren sechzig Jahre lang von den verschiedensten Mietern bis zur Unkenntlichkeit angestrichen worden. Oft war man dabei offenbar ohne Pinsel vorgegangen und hatte den bevorzugten Farbton gleich aus der Dose auf die betreffende Stelle schwappen lassen. Dies bedeutete Mehrarbeit, aber unglücklicherweise musste die – durchaus willkommene – Mehrarbeit großenteils mit einer Lötlampe bewältigt werden, einem kraftvollen Fön, der Farbe schmilzt und gern einen üblen Geschmack im Mund hinterlässt. Es ist eine langsame und öde Arbeit; man zielt mit der Lampe, bis die Farbe Blasen schlägt, und dann kratzt man sie mit einer Klinge ab. An guten Tagen hat man hinterher pochende Kopfschmerzen. An schlechten Tagen legt man Brände.
    «Du entfernst die Farbe und dann wird es lustig», sagte Uta. «Du, ich und der farbige Typ werden zaubern, damit diese Wohnung wieder scharf aussieht. Was meinst du? Bist du bereit, du griechischer Knirps du? Uta ist bereit. Der farbige Typ ist bereit. Und du? Bereit, zum Team zu stoßen?»
    Sie ging weg, um ein paar Besorgungen zu machen, und ich begann, die Farbe von der Küchentür zu sengen. Bei der Arbeit hörte ich Radio, einen hiesigen Mittelwellensender, der jeden Samstag alte Serien und Humorprogramme wiederholte. Suspense und The Shadow gefielen mir beide gut, aber als The Life of Riley anfing, merkte ich, wie meine Gedanken abschweiften. William Bendix spielte die Art vorhersehbaren, gutmütigen Idioten, dessen Finger unter Garantie am Abend des wichtigen Alte-Herren-Essens in einem Loch der Bowlingkugel steckenbleibt. Er ist der Volltrottel als Mitbürger, der Maßstäbe für Generationen nachfolgender Fernsehserien gesetzt zu haben schien, in denen überfüllte Kleiderschränke und Hunde vorkamen, die den Truthahn stibitzten, während die Familie mit geschlossenen Augen betete. Im wirklichen Leben wäre so ein Hund windelweich geprügelt worden, wenn er sich so was getraut hätte, aber hier haben wir Figuren, die Würstchen mit Füllsel essen und so tun, als hätten sie soeben den wahren Sinn des Erntedankfestes erfahren. Es war eine Welt, in der die Menschen durch ein einziges Wort oder eine einzige Tat Erleuchtung fanden. Innerhalb einer Frist von dreiundzwanzig Minuten wurden Lektionen gelernt und Lebensläufe erfuhren eine dramatische Wende. Bereits als Kind hatte ich Schwierigkeiten, das Konzept so rapiden spirituellen Wachstums zu akzeptieren. Wenn es so leicht war, die Menschen zu verändern, säße ich doch längst auf einem Thron aus gepolstertem Samt vor einer Nation aus willigen

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